Assange nutzt Botschaft als Plattform

AFFÄRE Ecuador gewährt Wikileaks-Gründer diplomatisches Asyl. Britische Regierung ist enttäuscht

„Die britische Regierung hat gedroht, uns zu verprügeln“

RICARDO PATIÑO, AUSSENMINISTER VON ECUADOR

AUS BUENOS AIRES JÜRGEN VOGT

Um genau 12.39 Uhr Ortszeit brandete vor der ecuadorianischen Botschaft in London der Jubel auf. Zeitgleich um 7.39 Uhr Ortszeit verkündete in Ecuador Außenminister Ricardo Patiño, dass seine Regierung dem Wikileaks-Gründer Julian Assange „diplomatisches Asyl“ gewährt.

Was sich hinter der Formulierung „diplomatisches Asyl“ verbirgt, erläuterte Patiño nicht. Auf die Frage, wie Assange nach Ecuador kommen soll, meinte er: „Wir haben unsere Entscheidung bekanntgegeben und warten jetzt die Antwort der britischen Regierung ab.“ Mit anderen Worten: Assange bleibt vorerst in der Botschaft.

Zuvor hatte Patiño bestätigt, dass es „gewichtige Gründe dafür gibt, dass es sich bei Assange um einen politisch Verfolgten handelt“. Das wohl gewichtigste Argument seiner elf Punkte umfassenden Begründung ist, dass die britische Regierung nicht ausschließen wollte, Assange über Schweden an ein Drittland auszuliefern. Und dass Schweden eine Auslieferung an die USA nicht ausgeschlossen habe. In den USA aber, so Patiño, sei Assange ein fairer Prozess nicht garantiert und somit sein Leben in Gefahr, da auch die USA nicht zugesichert haben, ein mögliches Auslieferungsersuchen zu unterlassen.

Vor der Bekanntgabe der Entscheidung ging Patiño ausführlich auf die britische Androhung ein, die Botschaft in London notfalls stürmen zu wollen. Die britische Regierung „hat uns gesagt, sie wird uns verprügeln, aber wenn wir uns ordentlich benehmen, dann würde sie es sein lassen“, sagte Patiño. Er reagierte damit auf einen Brief der britischen Regierung, in der diese die Verpflichtung bekräftigt, Assange an Schweden ausliefern zu müssen. Sie beansprucht zudem das Recht, den Botschaftsstatus der ecuadorianischen Vertretung vorübergehend aufzuheben und Assange zu verhaften.

„Wir sind keine Kolonie, und die Zeiten des Kolonialismus sind vorbei“, so Patiño. Es fehlte nur, dass er sich bei der britischen Regierung für diese Steilvorlage zum Schulterschluss mit den Nachbarstaaten in der Region bedankt hätte. So hat Ecuador bereits die Außenminister der Alba-Staaten und der Union Südamerikanischer Nationen zu einer Dringlichkeitssitzung nach Ecuador eingeladen. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat ebenfalls eine außerordentliche Vollversammlung angekündigt.

Die britische Regierung hat sich erwartungsgemäß enttäuscht gezeigt und gleichzeitig ihre Verpflichtung unterstrichen, Assange an Schweden ausliefern zu müssen und auch ausliefern werde. Daran habe die Entscheidung Ecuadors nichts geändert. Man werde jedoch weiter an einer Verhandlungslösung arbeiten. Damit signalisiert die britische Regierung, dass ein Entzug des Botschaftsstatus derzeit nicht beabsichtigt ist und sich an der Situation trotz der Asylentscheidung vorerst nichts ändern werde.

Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks hatte sich am 19. Juni in die ecuadorianische Botschaft in London geflüchtet und um politisches Asyl gebeten. Seither wartet er in London auf eine Entscheidung.

Der Australier Assange hatte sich im Dezember 2010 der Londoner Polizei gestellt, nachdem Schweden einen europäischen Haftbefehl gegen ihn erwirkt hatte. Großbritannien will Assange nach Schweden ausliefern, wo er sich wegen Vergewaltigungs- und Nötigungsvorwürfen verantworten soll.

Assange hat die Vorwürfe stets bestritten. Er sieht sich als politisch Verfolgter und befürchtet, dass er von Schweden an die USA weitergereicht wird, wo er wegen politischer Vergehen belangt werden könnte.

Wikileaks hatte als Internetplattform für Aufsehen gesorgt, weil es mehrfach geheime Dokumente, vor allem aus den USA, veröffentlichte.

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