: Mehr Zeit für echten Wohlstand
GRENZEN DES WACHTSUMS Warum weniger mehr ist: Mit einem achtstündigen Veranstaltungsmarathon setzt sich das Sommerfestival auf Kampnagel heute mit elf wissenschaftlichen und künstlerischen Perspektiven mit dem Thema Wachstum auseinander
VON ROBERT MATTHIES
Ein Prost auf die bessere Welt. Sieben radikale Aktionspläne gegen das drohende ökologische Desaster schlagen Davis Freeman und Jerry Killick in ihrer Performance „7 Promises“ vor. Mit missionarischem Eifer. Gute Vorsätze allein ändern schließlich gar nichts, dem Umdenken muss die Umsetzung in die Tat folgen. Und so nehmen die beiden Öko-Priester auf der Bühne Gelübde ab – und belohnen mit unzähligen randvoll gefüllten Gläsern Wodka.
Zu sehen ist die humorvolle Performance über das ernste Thema – ein Nebenprojekt des sechsstündigen Marathon-Stücks „Expanding Energy“, in dem die beiden Künstler in einer vierteiligen Nachhaltigkeitskonferenz mit Tanz, Theater, einem Dinner und einer Talkshow die menschliche Obsession mit Energie untersuchen – ebenfalls im Rahmen eines wahren Veranstaltungsmarathons. Acht Stunden lang präsentiert das Sommerfestival auf Kampnagel ab heute Nachtmittag elf wissenschaftliche und künstlerische Perspektiven zum Thema Wachstum.
Ulrich Brand etwa, Professor für Internationale Politik an der Universität Wien, beschäftigt sich seit Jahren mit internationaler Ressourcen- und Umweltpolitik. Im letzten Jahr wurde er in die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ des Deutschen Bundestages gewählt. In seinem Vortrag spricht er heute über Ansätze für andere Wohlstandsmodelle – und darüber, welche konkreten Änderungen dafür notwendig sind.
Mit den Möglichkeiten einer „Postwachstumsökonomie“ beschäftigt sich auch der Oldenburger Volkswirtschaftler Niko Paech, Mitgründer des Oldenburg Center for Sustainability Economics and Management und Vorsitzender der Vereinigung für Ökologische Ökonomie. Statt eines Wirtschaftssystems, das zur Versorgung des menschlichen Bedarfs auf Wirtschaftswachstum angewiesen ist, schlägt Paech eine „Befreiung vom Überfluss vor“, die auf den Prinzipien institutionelle Innovationen, stoffliche Nullsummenspiele, Regionalökonomie, Subsistenz und Suffizienz beruht.
Von der Unmöglichkeit des Wachstums ist auch Andrew Simms, Gründer der Londoner New Economics Foundation überzeugt. Maßstab für wirtschaftlichen Erfolg könne nicht die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts sein, sondern ein „Happy Planet Index“, der zwei Dinge zusammenführt: das Glücksempfinden der Bevölkerung und der Verbrauch an Ressourcen. Eine Halbierung der Wochenarbeitszeit und eine Reduzierung des Konsums etwa schlägt Simms vor: mehr Zeit für mehr echten Wohlstand.
Die Gründung einer neuen „Partei der instituionalisierten Kürzungen“ ist der Beitrag des österreichischen Performers Julius Deutschbauer. In Feinrippunterwäsche lädt er heute zur Gründungsversammlung, verliest Parteistatuten und singt die Parteihymne.
Zur Audio-Tour auf den Spuren der Kampnagel-Fabrik selbst lädt schließlich die freie Radiogruppe Ligna. Und auch hier ist das Versprechen verheißungsvoll: Am Ende von „Lob des Stillstands“ schließt uns der Gott der Faulheit in die Arme.
■ Sa, 18. 8., 16 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20
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