Keine Hochzeitenund viele Todesfälle

In Italien steigt die Zahl der Infizierten rasant. Die Regierung verabschiedete nun über Nacht ein Dekret, das das öffentliche Leben in weiten Teilen Norditaliens fast völlig lahmlegt

Vor einemKrankenhaus in Neapel Foto: Salvatore Laporta/Imago

Aus Rom Michael Braun

Herrliches Frühlingswetter herrschte am Samstag in der Lombardei. Und in Mailand war es eigentlich so wie immer, wenn die Sonne scheint. Die Menschen flanierten, dicht an dicht, durch die Einkaufsstraßen, die Tische der Kneipen an den Navigli, dem Ausgehviertel der Stadt, waren voll besetzt. Ganz ähnliche Bilder gab es aus den Skigebieten im Norden der Region, im Trentin oder Südtirol: Menschentrauben an den Skiliften, Menschentrauben auch auf den Pisten und rund um die Skihütten.

Coronavirus? Niemanden schien das weiter zu kümmern. Völlig in den Wind gesprochen waren offenkundig all die Appelle des Zivilschutzes, der nationalen und der Regionalregierung, ja auch des Staatspräsidenten Sergio Mattarella, die Bürger mögen doch bitte ihren Lebensstil ändern, öffentliche Ansammlungen meiden, auf den Mindestabstand von 1 Meter zu anderen gehen.

Dabei sind die neuesten Zahlen dramatisch. Um mehr als 1.100 stieg die Zahl der Infizierten von Freitag auf Samstag, die Gesamtfälle liegen bei 5.800, 233 Menschen erlagen bisher der Epidemie. Und mehr als dramatisch war der Notruf, den am Samstag der Verband der Anästhesisten der Lombardei absetzte. Die Intensivmedizin in der Region sei mit nunmehr fast 400 Coronapatienten völlig überlastet, bei einem weiteren Anstieg der Patientenzahlen drohe in den Krankenhäusern der Kollaps.

Allzu unbesorgte Bürger auf der einen Seite, auf der anderen Ärzte, die die höchste Alarmstufe ausrufen: Auf diese Gemengelage reagierte die Regierung unter Ministerpräsident Giuseppe Conte mit einem in der Nacht auf Sonntag verabschiedeten Dekret, das das öffentliche Leben in weiten Teilen Norditaliens fast völlig, im Rest des Landes weitgehend zum Erliegen bringen wird.

Zunächst einmal widmet sich das Dekret dem eigentlichen Notstandsgebiet, aus dem rund 5.000 Infizierte kommen, der ganzen Lombardei sowie 14 weiteren Provinzen im Piemont, der Emilia-Romagna, dem Veneto und den Marken. 16 Millionen Menschen leben hier, und für sie gilt bis zum 3. April ein rigoroses Regime. Jedwede Reise aus diesem Gebiet sei unbedingt zu vermeiden, heißt es in der Verordnung, aber auch in seinem Inneren dürfe man sich „nur aus nachgewiesen notwendigen Gründen zum Beispiel beruflicher Art“ bewegen, erklärte Conte in seiner nächtlichen Pressekonferenz. Und jene Bürger, die bei sich Fieber über 37,5 Grad messen, sind „dringend aufgefordert, zu Hause zu bleiben“, auch wenn sie an einer einfachen Erkältung laborieren.

Wenigstens auf dem Papier sind damit die betroffenen Menschen praktisch unter Hausarrest gestellt, dürfen sie nur noch zur Arbeit, zu Verwandten oder zum Arzt. Und damit sie sich auch daran halten, macht die Regierung alles dicht. Geschlossen werden Pubs, Diskotheken, Kinos, Theater und Museen, Gyms und Schwimmbäder werden zugesperrt, alle öffentlichen Events wie Tagungen, Kongresse oder Messen sind genauso untersagt wie Sportveranstaltungen „Zeremonien aller Art“, sprich Hochzeiten, Kindstaufen, aber auch – das Dekret sagt es explizit – Trauergottesdienste. „In diesen Gebieten können wir uns Personenansammlungen nicht mehr erlauben“, erklärte Conte vor der Presse. Deshalb werden auch sämtliche Skilifte in den betroffenen Zonen zugesperrt – Bilder wie vom Samstag mit Tausenden fröhlichen Menschen auf den Pisten will die Regierung nicht mehr sehen.

Und so müssen auch die Espressobars und Restaurants um 18 Uhr schließen. Über Tag müssen sie sicherstellen, dass die Gäste sich nicht zu nah kommen. Wer den Meter Mindestabstand nicht bei der Kundschaft durchsetzt, muss mit einer sofortigen Schließung seines Lokals rechnen.

Das sind noch nicht Verhältnisse wie in Wuhan. Der Norden wird nicht zur hermetisch abgeriegelten roten Zone, zu einer tieforangen jedoch wohl. Straßensperren sind nicht in Sicht, doch in der Lombardei und den angrenzenden Provinzen gehen die Lichter aus, wenigstens ihre Freizeit sollen die Menschen fortan zu Hause verbringen.

Und das Gros der verordneten Maßnahmen gilt auch für den Rest Italiens, mit zwei Ausnahmen. Dort werden keine Mobilitätsverbote ausgesprochen, und dort dürfen die Restaurants auch am Abend öffnen. Sonst aber gilt ebenfalls: Italien hat geschlossen. So machte schon am Sonntag die erst vor wenigen Tagen eröffnete große Raffael-Ausstellung dicht.

Geschlossen werden Pubs, Diskos, Kinos, Theater und Museen, auch Hochzeiten oder Taufen sind untersagt

Es liege nun an den Ordnungskräften, zur Not aber auch am Militär, vorneweg im Norden die Einhaltung der neuen rigorosen Bestimmungen zu kontrollieren, lässt die Regierung wissen. Völlig unklar ist aber bisher im Detail, wie effektiv das Reiseverbot aus dem, in den Norden überwacht werden soll. Den Bürgern ist es untersagt, zum Beispiel von Rom oder Bologna nach Mailand zu reisen („außer zur Rückkehr an den eigenen Wohnort“, verfügt das Dekret), doch wer immer möchte, kann weiterhin Tickets für die Hochgeschwindigkeitszüge Richtung Mailand buchen.

Dass sich hieran etwas ändern könnte, befürchteten wohl jene Hunderte Menschen, die am späten Samstagabend den letzten Nacht-Intercity stürmten, der aus Mailand Richtung Süditalien abfuhr. Und das wiederum ist die Sorge der südlichen Regionen: dass sich jetzt Tausende von Norden aus aufmachen, um an ihre Heimatorte zurückzukehren, gelegentlich auch mit dem Coronavirus im Gepäck. Noch werden dort wenige Dutzend Infizierte gezählt, doch den Experten graust bei der Vorstellung von Ansteckungszahlen, wie sie in der Lombardei vorliegen: Das Gesundheitswesen in Süditalien ist weit miserabler aufgestellt und wäre kaum in der Lage, Hunderte Intensivpatienten zu versorgen.

Und so ordnete der Präsident der Region Apulien, Vittorio Emiliano, gleich nach der Verabschiedung des Dekrets der Regierung Conte an, wer immer aus den nördlichen Notstandsregionen nach Apulien komme, müsse sich für 14 Tage in häusliche Quarantäne begeben und sei zudem verpflichtet, seine Ankunft den Gesundheitsbehörden mitzuteilen. Mit den Worten „Bringt bloß nicht die lombardische Epi­demie in euer Apulien mit!“ ­versuchte er potentielle Heimkehrer von ihrem Vorhaben abzubringen.

Doch dass die Seuche mitnichten bloß „lombardisch“ ist, zeigten am Wochenende zwei prominente Fälle aus der Politik. Am Samstag teilte Nicola Zingaretti, Gouverneur des Latium, in dem auch Rom liegt, und zugleich nationaler Vorsitzender der Partito Democratico, die an Contes Regierung beteiligt ist, mit, er habe sich infiziert. Und nur einen Tag später kam die gleiche Nachricht von Alberto Cirio, Präsident der Region Piemont im Nordwesten. Beide befinden sich nun in häuslicher Quarantäne, genauso wie die Dutzenden Personen, mit denen sie engeren Kontakt hatten.