: Reiben an der Begrenzung
Das britische Ballet Rambert zeigt zwei Produktionen als Gastspiele im Haus der Berliner Festspiele. Es begann mit „Enter Achilles“ über Männlichkeitsrituale und Hackordnung
Von Katrin Bettina Müller
Würde man die jungen Männer auf der Straße treffen, breite Schultern, breiter Gang, kurz geschoren die Haare, die Bereitschaft zum verächtlichen Grinsen schon in den Mundwinkeln nistend, man nähme ihnen jederzeit ab, als Bauarbeiter nach Berlin gekommen zu sein oder für eine ausgedehnte Sauftour. Auf Balletttänzer käme man nicht. Da sind eben auch die eigenen Männerbilder etwas festgefahren.
Als der Choreograf Lloyd Newson vor 25 Jahren „Enter Achilles“ für seine Company DV8 entwickelte, waren der Working Class Hero und der Underdog zwar präsent in der Literatur oder im Kino eines Ken Loach – im Ballett, zumindest im westlichen, aber doch selten. Eher kannte ihn das Musical. Lloyd Newson, der aus Australien nach England gekommen war, aber wollte Geschichten der Gegenwart erzählen mit den Mitteln des Physical Theatres. Das war eine Form von Tanztheater, die auch Artistik, Akrobatik, Kampfsport und die Körpersprachen des Alltags, aus der Disco, dem HipHop, von Fußballfantum und anderen körperbetonten Ritualen umfassen konnte. Lloyd Newsons Stück „Enter Achill“ über zehn Männer, deren biergetränkte Kumpelei leicht in Aggressivität umschlagen kann, hatte in den neunziger Jahren großen Erfolg. Eine BBC-Verfilmung, so informiert das Programmheft, wird nach wie vor in Schulen und Hochschulen gezeigt.
„Enter Achilles“ ist also ein Klassiker der Tanzgeschichte, aber nicht überholt von der Geschichte. Das zeigt die Neueinstudierung, die Lloyd Newson, der sich von der Leitung der Company DV8 vor einigen Jahren zurückgezogen hat, für das Ballet Rambert & Sadler’s Wells mit neu gecasteten Tänzern erarbeitet hat. Im Haus der Berliner Festspiele war die Deutschlandpremiere zu sehen.
Wie sie bei Drehungen und Spiralen, beim Rollen über den Boden und Drängen gegen den anderen stets noch ein Bierglas zu balancieren wissen, diese artistische und tänzerische Geschicklichkeit zu sehen ist erst einmal ein Vergnügen. Die Britpop-Songs der neunziger Jahre erzeugen auch eine wohlige Atmosphäre.
Ein roh gezimmerter Tresen, eine Spiegelwand, ein paar halbfertige Bauten bilden das Bühnenbild. Der Pub ist für die Männer auch ein Laufsteg der Eitelkeiten, kontrollieren sie doch den Gang und den Punch im Spiegel, vergleichen Brust und Bauchmuskeln. Sie suchen die Berührung, aber immer wird sie in Kampf, Schubsen, Drängeln verwandelt, alles Bewegungsimpulse, die zu raffinierten Ausweichmanövern, Einander-Umkreisen und zum Slapstick führen. Das ist schon ein Spiel, was man gern anschaut.
Aber immer mit der Ahnung, dass die Stimmung schnell kippen kann. Man möchte lieber nicht wissen, wie sie über Frauen reden, und bekommt es doch zu hören in einer Szene, in der sie aufgereiht an der Rampe ihre sexistischen Sprüche hinausschicken. Fußball wird kommentiert und Politik, da werden nationalistische und rassistische Ansichten schnell erkennbar. Es gibt die Wortführer und ihre mal mehr, mal weniger enthusiastische Gefolgschaft. Zugehörigkeit ist ihnen alles, aber die Definition, wer dazugehört, ist sehr eng.
Das bekommt zuerst ein Mann zu spüren, dessen Hemd etwas eleganter, dessen Bewegungen etwas flattriger, dessen Drehungen etwas weicher sind. Er wird bedrängt und in die Flucht getrieben; aber er kommt wieder – im Superman-Kostüm nimmt er einen der Männer mit in eine Nummer am Vertikalseil, verführt auch andere zum Tanz in Paaren und wandelt die in seine Richtung zielenden Hiebe um – wie es freilich nur als artistisches Kunststück gelingen kann. Das hat einen schönen Bewegungswitz. Ein anderer aus der Gruppe wird von den Männern mit Demütigungen überhäuft, als sie entdecken, wie zärtlich er mit einer Gummipuppe umgeht.
So gelingt es dem Stück, Homophobie, Frauenfeindlichkeit und Engstirnigkeit zu verhandeln, „toxische Männlichkeit“ würde man heute dazu sagen; doch dabei wird eben auch sichtbar, wie die Einzelnen an ihrer Begrenzung auch leiden, wie die Gruppenrituale sie im Griff halten, wie sie keinen Zugang zu und keinen Ausdruck für ihre eigenen Bedürfnisse finden.
Das Ballet Rambert gastiert im Haus der Berliner Festspiele noch mit einer zweiten Produktion, „Aisha and Abhaya“ (11.–13. März), für die der Filmregisseur Kibwe Tavares mit der Choreografin Sharon Eyal, die inzwischen auch für das Staatsballett Berlin Stücke entwickelt hat, zusammengearbeitet hat. Es ist eine märchenhafte Geschichte zweier Schwestern, deren Reise in eine neue Welt auch ein Kampf ums Überleben ist. Visuell verspricht dieses Tanztheaterstück für ein großes Ensemble sehr opulent zu werden, nutzt Taveres doch auch viele Animationen und Filmaufnahmen.
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