: Der Grat zwischen Wirklichkeit und Fantasie
Die Hamburger Ausstellung „Goya, Fragonard, Tiepolo – Die Freiheit der Malerei“ sucht diese Gemälde des 18. Jahrhunderts als Vorboten der Moderne zu inszenieren
Von Hajo Schiff
Die Welt ist nichts ein großes Theater: Im Spiegel der Posse haben alle in der Hamburger Ausstellung „Goya, Fragonard, Tiepolo“ versammelten Maler ihren Zeitgenossen die Eitelkeiten und Verfehlungen ihrer Zeit vorgestellt. Das Barock liebte ohnehin das Theatralische, aber im Laufe des 18. Jahrhunderts steht nicht mehr so sehr das Heroische und das überwältigend Religiöse im Zentrum, sondern das leichthin skizzierte Spiel, die Ironie und auch die Kritik. Und in Venedig dauerte in der Spätzeit der Republik der Karneval schon mal über ein halbes Jahr. Zudem konnte in der Darstellung von Schauspielern und die Kritik an den Mächtigen leichter für das Volk allgemein verständlich formuliert werden als in den direkten Karikaturen, die stets nur kleinen Kreisen zugänglich waren.
Vielleicht ist das Spiel mit Masken also ein guter Roter Faden dieses Auftritts von über 100 Werken von Goya, Fragonard und Tiepolo. Mehr als 35 internationale Leihgeber bescheren dort im Hubertus-Wald-Forum auf blauen und roten Wänden einen für Norddeutschland ungewohnten Augenschmaus, besitzt die Kunsthalle selbst doch recht wenige Gemälde des südeuropäischen 18. Jahrhunderts.
Doch zum vollen Genuss der Malerei, Zeichnungen und Drucke so unterschiedlicher Künstler ist viel Hintergrundwissen nötig: Trotz der Saaltexte informiert am besten der umfangreiche Katalog.
Die ältesten hier Beteiligten sind die Tiepolos. Giovanni Battista und sein Sohn Giovanni Domenico verkörpern die späte Blüte der venezianischen Malerei. Sie sind vor allem berühmt als Ausstatter von Kirchen und Villen in Oberitalien mit prachtvollen Freskenzyklen. Zudem arbeiteten sie für fürstliche Residenzen, so in Madrid und Würzburg. Und bei aller rokokohafter Leichtigkeit der Farben und der Pinselführung stehen sie noch ganz in der Tradition der Hofmaler.
Dagegen war der im südfranzösischen Grasse geborene Jean-Honoré Fragonard zwar in guter Pariser Tradition voll akademisch ausgebildet, doch er arbeitete weniger für den König, als weitgehend unabhängig für private Auftraggeber und schuf daher auch kleinere Formate. Er beherrschte sehr unterschiedliche Malweisen und wurde nach der Revolution Museumskonservator im Louvre.
Der jüngste im Bunde, der Spanier Francisco José de Goya y Lucientes, von dem unter anderem ein ungemein modern anmutendes „Selbstbildnis im Atelier“ zu sehen ist, steht in gewisser Hinsicht sozial zwischen beiden: Erst wird er hoch geehrter königlicher erster Hofmaler, dann vehementer Kritiker der sozialen Zustände und Vertreter von Reformvorschlägen zur Gewährung individueller künstlerischer Freiheit an der Akademie, der sogar in Konflikt mit der Inquisition kam und im französischen Exil starb.
„Die Freiheit der Malerei“ setzt die Ausstellung als alle verbindendes Thema. In sieben Kapiteln wird diese von Venedig, Madrid und Paris ausgehende, schon damals europaweit rezipierte Kunst in einzelnen, damals teils neuen Stilmitteln verglichen. Zuerst geht es um den noch am deutlichsten erkennbaren Reiz des Skizzenhaften: Selbst im Ölbild scheint der Bildaufbau oft flirrend leicht, wie beiläufig hingeworfen. So kann sich ein Spiel mit Distanzen ergeben zwischen der Nah-Perspektive als Farbrausch und der erst aus der Distanz erkennbaren Szene.
Nächster Schwerpunkt ist die neue Freiheit der Figurenbildnisse – hinreißend hier Goyas nahezu impressionistisches Porträt des Ascensio Julià. Auch geht es um das Spiel von Wirklichkeit und Fantasie und um das Theater: Es ist ein Unterschied, ob Heiligenlegenden wie ein reales Geschehen dargestellt werden oder als Inszenierung.
Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt sind angesichts kaum mehr zu verbergender sozialer Missstände die ohne Auftrag gemalten und bis ins Groteske gesteigerten Gesellschaftsbilder sowie die schnell erfasste Karikatur und die umfangreichen grafischen Folgen, in denen vor allem Goya seine Kritik äußerte.
„Der Schlaf der Vernunft gebiert Monster“ heißt es auf der vielleicht bekanntesten Radierung von Goya, auf der ein am Schreibtisch ermüdet Zusammengesunkener von allerlei irrlichternden Nachtkreaturen heimgesucht wird. Und es spricht Bände über die Zeit um 1799, dass die spanische Textzeile auch als „Der Traum der Vernunft gebiert Monster“ verstanden werden kann: Irrationales Handeln kann zu Desastern führen, der Terror der reinen Vernunft aber auch – die französische Revolution hat es hinreichend bewiesen.
Die Kernthese der Ausstellung lautet, dass von den ausgewählten, „radikal-persönlichen“ Künstlern „die Grundlagen der Moderne geschaffen wurden“. Das ist sicherlich nur ein möglicher Gesichtspunkt. Denn weder ist „die Moderne“ klar zu definieren, noch lässt sich die Kunstgeschichte so eindeutig skalieren.
Vielleicht ist es eher so: In der unerreichbaren Tradition des einstigen Kunsthallenleiters Werner Hofmann möchte die Kunsthalle anlässlich ihres 150-jährigen Jubiläums an dessen legendären Zyklus „Kunst um 1800“ anknüpfen und zeigen, dass in scheinbar idyllischen und gefälligen Bildern des 18. Jahrhunderts Botschaften zur Veränderung verborgen waren.
Nun sind dergleichen ästhetische Umbrüche angesichts der politischen und technischen Veränderungen der Zeit bei Lebensdaten von Tiepolos Geburt 1698 bis Goyas Tod 1828 – also vom Barock über das Rokoko bis zu Aufklärung, Klassizismus und Romantik samt der Revolution in Frankreich nicht verwunderlich. Und gut 100 Arbeiten von drei – eigentlich mit Vater und Sohn Tiepolo sogar vier – Künstlern wirken ohnedies für ein Laien-Publikum etwas disparat.
Auch die suboptimalen Räumlichkeiten des Huberts-Wald-Forums der Hamburger Kunsthalle helfen nicht, eine klar überzeugende Präsentation zu ermöglichen. Selbst für das Studium der druckgrafischen Zyklen sind die kleinen Kabinette ein bisschen zu bedrückend, speziell bei den hier vorherrschenden Themen von menschlicher Dummheit, Krieg und Tod.
„Goya, Fragonard, Tiepolo – Die Freiheit der Malerei“: bis 13. 4., Hamburger Kunsthalle
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