Grelles Licht, tiefer Schatten

Eine Fotoausstellung in der Kulturambulanz gibt den Menschen, die in der Psychiatrie Kloster Blankenburg unter menschenunwürdigen Bedingungen verwahrt wurden, ein Gesicht

Die Kulturambulanz ist kritische Begleiterin der Psychiatriereform Foto: Rafael Heygster

Von Jan-Paul Koopmann

Es ist ein Anspruch, aber keine Feststellung, dass die Würde des Menschen unantastbar sei. Das müsste ja auch nicht extra im Grundgesetz stehen, wenn es schon wahr wäre. Gleich an den Anfang geschrieben hatte man sich diese Mahnung damals, weil kein Faschismus mehr sein sollte – und vielleicht auch, weil man bereits ahnte, dass es auch in den Heimen, Gefängnissen und Psychiatrien der neuen Bundesrepublik ohne Kontrolldruck nicht ganz weit her ist mit der Menschenwürde. Tatsächlich hat es Jahrzehnte gedauert, bis in den geschlossenen Institutionen von ernsthaftem Reformwillen auch nur die Rede sein konnte. Bundesweit ein wichtiges Datum: die Schließung der psychiatrischen Verwahranstalt Kloster Blankenburg bei Oldenburg im Jahr 1988.

Was aus den Menschen geworden ist, die hier damals eingesperrt, verwahrlost und mit Medikamenten vollgestopft vor sich hinvegetierten, wollten Fotograf Rafael Heygster und Journalist Manuel Stark herausfinden. „Gesichter und Geschichten“ heißt ihre Ausstellung, die derzeit in der Kulturambulanz am Klinikum Bremen-Ost zu sehen ist. Und ganz ausdrücklich stellen auch sie die Frage nach der Würde ihrer Modelle gleich am Anfang.

Schwierige Recherche

Heygster und Stark haben rund 20 alte Menschen besucht, die Blankenburg – man muss das so sagen – überlebt haben. Die Recherche war schwierig: Viele der ehemaligen Patient*innen konnten noch nie sprechen, andere sind dafür inzwischen zu alt und schwach, vier von ihnen sterben noch vor Abschluss des Projekts. Rafael Heygster hat dennoch einen Zugang gefunden, die mehrmaligen Besuche beschreibt er als „nonverbales Zueinanderfinden“. Ein Gefühl müsse man dafür entwickeln, was ein Händedruck oder ein bestimmter Blick im Gespräch bedeuten.

Blankenburg selbst taucht auch in Manuel Starks Textbuch zur Ausstellung bemerkenswert selten direkt auf, es geht eher um den heutigen Alltag dieser Menschen. Die grobe Geschichte erschließt sich aber zwischen den Zeilen: Viele der ab 1957 in die Oldenburger Pampa verschleppten Bremer*innen hatten zuvor nur mit Glück und Hilfe vom Pflegepersonal die Massenmorde des Nationalsozialismus überlebt.

Unwürdige Unterbringung

In Freiheit angekommen waren sie aber nie. Ihre menschenunwürdige Unterbringung in Blankenburg und anderswo gerät nur langsam über die Presse an eine Öffentlichkeit, die sogar noch langsamer beginnt, sich auch dafür zu interessieren. Zwischen 1980 und 1988 wird die Anstalt auf Beschluss des Bremer Senats aufgelöst. Die Insassen kommen zurück nach Bremen, wo sich auch dank ihrer Erfahrungen Stück für Stück eine heute durchaus Klinik-kritische Psychiatrielandschaft entwickelt: Ambulanzen, Selbsthilfegruppen, Blaumeier, die Blaue Karawane und so weiter.

Dass Sie diese Geschichte vielleicht schon kennen, dürfte nicht zuletzt an der Kulturambulanz liegen, wo Heygster und Stark gerade ausstellen. Die eben erst vom Niedersächsischen Kultusministerium mit dem Museumsgütesiegel ausgezeichnete Institution ist als kritischer Wegbegleiter der Psychiatriereform bis heute auch an der Aufarbeitung der finsteren Vorgeschichte beteiligt.

Inszenierte Porträts

In „Gesichter und Geschichten“ treten uns nun 17 Menschen in scharfen, kontrastreich ausgeleuchteten Porträts gegenüber. Es sind keine spontanen oder beiläufigen Begegnungen, sondern ästhetisch ausdifferenzierte Inszenierungen zwischen grellem Licht und tiefen Schatten. Heygster erschafft ein eigenwilliges Pathos beim Versuch, seine Zeitzeug*innen in Würde zu präsentieren, auch wenn sie im Rollstuhl sitzen, oder ihre Gesichtszüge nicht den geläufigen Idealen vermeintlich gesunder Schönheit entsprechen. Er habe sich dabei, so sagt er, von klassischer Malerei inspirieren lassen.

Viele der ehemaligen Patient*innen konnten nie reden, andere sind dafür inzwischen zu alt

Diese Darstellungsweise ist nicht unproblematisch – das spricht der Fotograf beim Rundgang einmal selbst aus, als er vom hohen Ziel der „Inklusion“ spricht. Denn inklusiv sind sie ganz sicher nicht, diese bildgewaltigen Monumente, sondern Monumente des Besonderen unter einem Kunstfilter. Falsch ist es nicht, und natürlich haben diese Menschen die ästhetisch bombastische Perspektive auch mehr als verdient, die nicht nur von Behörden, Ärzt*innen und Pflegepersonal gequält, sondern auch vom Rest der Gesellschaft viel zu lange ignoriert wurden. Nur wird gerade davon nicht mehr viel erzählt in diesen Bildern.

Das Problem kennen alle, die sich künstlerisch oder dokumentarisch Opfern struktureller Gewalt zuwenden, nicht nur in der Psychiatrie, sondern überhaupt bei allen, die wie Marx sagt, gezwungen sind, ihr Leben als „ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen“ zu führen. Wie lässt sich vom Unrecht sprechen, das Menschen erfahren mussten und müssen, ohne ihr Elend zu zeigen?

Heygster und Stark haben sich bewusst entschieden, ein Denkmal zu setzen – die Menschen zu würdigen, statt die Umstände zu skandalisieren. Vielleicht ist das auch richtig so. „Ich weiß nicht, was immer noch in diesen Menschen tobt“, sagt Manuel Stark, und die große Leistung seiner Texte ist tatsächlich, dass er sich auch nicht aufs Herumspekulieren einlässt.

Offene Fragen

Im Nebenraum der Galerie wird neben einigen dokumentarischen Fotos auch die Geschichte der Aufarbeitung nachgezeichnet. Eine Vitrine zeigt zentrale Texte, Bücher und Zeitungsartikel. Auch künstlerische Arbeiten von ehemaligen Blankenburg-Insassen wie der späteren Blaumeier-Schauspielerin Paula Kleine sind hier zu sehen. Stellvertretend für weitere offene Fragen stehen gerade erst im Archiv aufgetauchte Wachbücher der Anstalt, die hier in der Ausstellung kurz Station machen, bevor sie weiter ausgewertet werden. Es ist noch viel zu tun – das ist wohl das Fazit dieser Ausstellung. Und jedes andere müsste einen auch misstrauisch machen.

Ausstellung „Gesichter und Geschichten“: bis 28. Juni, Klinkium Bremen-Ost, Galerie im Park