Überstunden vor Gericht

Die GEW Niedersachsen hat dreizehn Lehrer:innen dabei unterstützt, gegen das Land Niedersachsen zu klagen, weil ihre Arbeitsbelastung zu hoch ist. Ende März beginnt das erste Verfahren vor dem Verwaltungsgericht

Keine Zeit mehr: Mit der Aufgabenlast an Schulen steigt auch die Arbeitszeit für Lehrer:innen Foto: Imago/Ingimage

Von Nadine Conti

Frank Post ist Schulleiter an einer hannoverschen Grundschule und arbeitet 53 Stunden in der Woche – im Durchschnitt, nicht zu Spitzenzeiten. Das hat die Arbeitszeitstudie ergeben, die von der Uni Göttingen im Auftrag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Niedersachsen schon 2015/2016 durchgeführt wurde.

Frank Post war einer der über 2.500 Lehrer:innen, die damals ein Jahr lang penibel ihre Arbeitszeiten erfassten. Und einer von 13 Lehrkräften an Grundschulen und Gymnasien, die dann mit Hilfe der GEW vor zwei Jahren Klage gegen ihren Dienstherren, das Land Niedersachsen, einreichten.

Jetzt soll diese endlich vor dem Verwaltungsgericht in Hannover verhandelt werden. Im Mai steht ein weiteres Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in Osnabrück an, die anderen elf sind noch nicht terminiert. Die GEW-Landesvorsitzende Laura Pooth und der zuständige Fachanwalt Dr. Ralph Heiermann geben sich sehr optimistisch, was die Klageaussichten angeht.

Ihrer Auffassung nach spielen ihnen zwei Umstände in die Hände: Erstens, dass eine vom Kultusministerium eingesetzte Arbeitszeitkommission die Ergebnisse der Göttinger Studie im Großen und Ganzen anerkannt hat und zur Grundlage für die Beratungen von Entlastungsmaßnahmen gemacht hat.

Und zweitens, dass das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Arbeitszeiterfassung, die Beweislast noch einmal deutlich Richtung Dienstherr verschoben hat – der muss nämlich eigentlich dafür sorgen, dass Arbeitszeiten erfasst werden und kann es nicht seinen Angestellten als Nachteil anlasten, wenn deren Überstunden nicht einmal erfasst werden.

Wenn das Land oder die Landesschulbehörde nun also behaupten möchten, so viel würden Lehrer ja doch nicht arbeiten oder sie müssten sich nur besser organisieren – dann müsste nach Auffassung der Gewerkschaft auch das Land darlegen, wie und wann die zahllosen Aufgaben denn realistischerweise zu bewältigen wären. Eine solche Kalkulation gibt es aber bisher nicht.

Und dass die Aufgabenlast in den vergangenen zehn Jahren massiv gestiegen ist, macht Musterkläger Frank Post auch noch einmal deutlich: Inklusion und Ganztagsbetrieb sind da die großen Stichwörter. Aber auch die endlosen Gespräche, die zum Beispiel für Bauvorhaben bei der Gebäudesanierung fällig werden oder im Zuge der Digitalisierung, wenn er mit den drei verschiedenen Anbietern für die technischen Geräte an seiner Schule verhandeln muss. All dies sind Aufgaben, die früher so nicht anfielen. Und demnächst darf er auch noch die Kontrolle der Impfpässe seiner Schüler organisieren. Und Post betont, dass sich das Phänomen nicht auf Schulleitungen beschränkt: Alle Kolleg:innen arbeiten mehr Stunden, als im Vertrag vorgesehen.

Nun ist es nicht so, dass das Kultusministerium überhaupt nicht reagiert hätte: Im vergangenen Jahr legte der Minister einen 11-Punkte-Plan vor. Der Gewerkschaft und ihren Klägern gehen die darin vereinbarten Entlastungsmaßnahmen allerdings nicht weit genug. Zudem seien sie zu unverbindlich und auf einen zu langen Zeitraum gestreckt.

Wenn die Klage Erfolg hat, bekommt Kultusminister Grant Hendrik Tonne allerdings ein riesiges Problem. Die Unterrichtsversorgung gilt in Niedersachsen an vielen Schulen schon jetzt als unzureichend, vakante Stellen sind kaum zu füllen, der Bewerbermarkt ist leer gefegt.

Wegen überhöhter Arbeitszeiten verklagen 13 niedersächsische Lehrkräfte das Land Niedersachsen.

Die Klage eines Grundschullehrers aus Hannover wird am 26. März wird vor dem Verwaltungsgericht Hannover verhandelt, am 12. Mai kommt die Klage einer Grundschulleiterin in Osnabrück vor Gericht. Weitere elf Kläger:innen warten noch auf ihre Gerichtstermine.

6,5 Millionen Überstunden, die nicht ausgeglichen werden, fallen nach Kalkulationen der GEW jedes Jahr an.

Da ist wenig Spielraum für eine spürbare Entlastung, geschweige denn einen rückwirkenden Ausgleich der schon geleisteten Überstunden. Darauf haben die Kläger:innen nämlich auch geklagt: Freizeitausgleich oder Geld für die schon geleisteten Stunden. Theoretisch wäre es damit für manche wohl möglich, ein dreiviertel Jahr früher in Pension zu verschwinden.

Dass dies kaum auszugleichen ist, ist natürlich auch der GEW bewusst: Man hätte gern eine politische Lösung für alle Lehrkräfte und nicht nur eine juristische für die 13 Kläger, sagt Pooth. Aber bisher habe sich da einfach zu wenig bewegt. Und die vorhandenen Kräfte in den Burn-out zu treiben sei ja nun ganz sicher auch keine Lösung.

Wenn das niedersächsische Beispiel Schule macht, ist Tonne allerdings nicht der Einzige, der ein Problem hat, glaubt Pooth. Mit der Pilotstudie zur Überstundenbelastung hat Niedersachsen schon einmal eine Vorreiterrolle eingenommen, die Verfahren würden von den anderen Landesverbänden aufmerksam verfolgt. In den anderen Bundesländern dürfte die Arbeitsbelastung kaum geringer ausfallen.

Das niedersächsische Kultusministerium verwies schmallippig auf den 11-Punkte-Plan – und die rund hundert Euro, die Lehrer:innen an Grund-, Haupt- und Realschulen ab August mehr bekommen.