Werder Bremen in der Krise: Fragiles Gebilde
Nach dem Pokalaus in Frankfurt sucht Bremen weiter nach sich selbst. Trainer Kohfeldt sieht dabei vor dem Kellerduell gegen Hertha sogar Positives.
Eine Nacht der Enttäuschung hatte Trainer Florian Kohfeldt seinen Spielern hier zugestanden, um nach der 0:2-Niederlage im DFB-Pokalviertelfinale bei Eintracht Frankfurt den Fokus zu verlagern. „Wir wären gerne ins Halbfinale gekommen, aber jetzt legen wir alle Kraft nach Berlin, und in wenigen Monaten werden wir den Klassenerhalt feiern“, sagte Kohfeldt mit einer zur Schau gestellten Selbstverständlichkeit.
Das Pokalfinale am 23. Mai haben die Bremer aus dem Kalender gestrichen, was ohnehin bei einer möglichen Relegation noch schwierig hätten werden können. Nun soll eben das Bundesligaspiel bei Hertha BSC (Samstag 15.30 Uhr), wo der im Herbst 2017 in höchster Abstiegsnot installierte Kohfeldt auf seinen Vorgänger Alexander Nouri trifft, die Wende einleiten.
Wie das genau gelingen soll, bleibt ähnlich diffus wie der Himmel über der Mainmetropole am Donnerstag. Der schnelleren Erholung wegen verzichteten die Hanseaten auf die Rückreise in die Heimat. Das Regenerations- und Abschlusstraining sind auf dem Eintracht-Trainingsgelände angesetzt. Es ist der nächste Knopf, den Kohfeldt drückt. Seit Längerem gehören zu seiner Aufbauhilfe offenbar Analysen, die den Grad der Schönfärberei eigentlich überschreiten. Ein Chancenverhältnis von 8:3 wollte der 37-Jährige im Pokalduell gezählt haben. „Ich habe viele positive Dinge gesehen. In Berlin machen wir die Dinger rein.“
Fehlende Automatismen
Auch wenn mit Davie Selke der vom Hauptstadtklub entliehene Mittelstürmer wegen einer Sperrklausel nicht mitspielen darf; auch wenn im Offensivspiel die Automatismen fortgespült sind wie das Kellerinventar nach einem Hochwasser. Fehlen wird im Olympiastadion auch Ömer Toprak, bei dem sich aber der Verdacht auf Wadenbeinbruch nicht bestätigte.
Stattdessen kam die 30 Jahre alte Leihgabe von Borussia Dortmund mit einer Riss-Quetschwunde an der Wade davon. „Eine sehr schmerzvolle Angelegenheit für Ömer, aber zum Glück ist nichts gebrochen“, konstatierte Kohfeldt. Dem mit Rot bestraften Sünder Filip Kostić wollte der Coach keinen Vorwurf machen. „Das war keine kluge Aktion, aber ich möchte ihn nicht an die Wand stellen. Kostić ist kein solcher Spieler.“
Viel mehr echauffierte sich der Fußballlehrer über den VAR-Einsatz beim von André Silva zum bereits vorentscheidenden 1:0 verwandelten Handelfmeter (45. + 6), als Ludwig Augustinsson („Ich habe den Ball berührt“) das Spielgerät in einer unübersichtlichen Aktion mit der ausgestreckten Faust erwischt hatte. „Man sieht das erst in der achten, neunten Wiederholung. Mit so etwas kann ich schwer leben“, mäkelte Kohfeldt, für den im Gegensatz zu Schiedsrichter Felix Zwayer „keine klare Fehlentscheidung“ vorlag. Aber er räumte auch ein: „Wir sind keine Opfer. Das wäre unser größter Fehler.“
Tatsächlich liegen die elementaren Mängel der Grün-Weißen ganz woanders. Das ganze Gebilde wirkt fragil, fast zerbrechlich wie Glas. Den Spielern fehlen ganz offensichtlich die nötige Physis, Punch und Power – im Kopf wie in den Beinen –, um gegen Widerstände anzugehen. Geschäftsführer Frank Baumann indes widerspricht hier in einem Punkt. „Es ist eines der großen Probleme, dass wir nicht mehr zurückkommen“, gab der 44-Jährige zwar zu, „aber ich empfinde es nicht so, dass wir läuferisch schlechter sind.“ Dummerweise sagen die Daten etwas anderes: Kaum jemand sprintet so wenig wie die Werder-Akteure.
Baumann wies noch darauf hin, dass die Mannschaft trotz aller Defizite „charakterlich in Ordnung“ sei. Das mag sein, aber der Eindruck drängt sich auf, dass der Abstiegskandidat von der Weser gerade auf vielen Ebenen zu brav daherkommt, um den „Bock umzustoßen“ (Baumann). Der Manager bildet hier keine Ausnahme.
Den einzigen echten Kämpfer gegen den drohenden Untergang bei inzwischen beachtlichen acht Punkten Rückstand auf den Nichtabstiegsplatz (bei einem Spiel weniger) gibt seit Wochen der vom gesamten Verein geschützte Trainer. Es verdichten sich die Indizien, dass dies nicht ausreichen wird, um einem Bundesliga-Gründungsmitglied den zweiten Abstieg nach 1980 zu ersparen.
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