piwik no script img

Psychologe über das Coronavirus„Angst ist ansteckend“

Das Coronavirus verändert bereits den Alltag. Der Psychologe Jürgen Margraf spricht erkennt darin Angst, Solidarität und rassistische Untertöne.

Abstand zu halten ist in der Pariser U-Bahn nicht ganz einfach Foto: Kiran Ridley
Heike Haarhoff
Interview von Heike Haarhoff

taz am wochenende: Herr Margraf, bis Freitag haben sich 534 von 80 Millionen Menschen im Land nachweislich mit dem Corona-Virus infiziert. Die meisten Erkrankungen verlaufen wie eine Erkältung. In manchen Supermärkten aber sind die Regale leer – die Deutschen hamstern, was das Zeug hält. Messen und Veranstaltungen werden abgesagt. Was ist ansteckender: Das Virus oder die Angst vor ihm?

Jürgen Margraf: Ich bin Angstforscher und kein Virologe, deswegen kann ich zu dem Virus nicht viel sagen. Angst, so viel ist sicher, ist ansteckend. Aber das ist keineswegs nur beklagenswert.

Na ja. In Frankfurt wurde diese Woche ein ICE mit 300 Passagieren stundenlang an der Weiterfahrt gehindert, weil ein Mann offenbar verdächtig gehustet und geniest hatte.

Sie müssen sich die Funktion der Angst angesichts unserer Entstehungsgeschichte klarmachen. Wir sind soziale Wesen, die in kleinen Verbänden aufgewachsen sind. Um zu überleben, war es seit jeher wichtig, genau zu beobachten, wie die unmittelbare Umgebung reagiert. Wenn also alle in eine bestimmte Ecke gucken, dann gucke ich da auch hin, denn möglicherweise lauert da Gefahr in Form eines Fressfeinds.

Corona ist ein Fressfeind?

Moment, zu schnell. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Nehmen Sie die Paviane, die mit uns Menschen zumindest verwandt sind. Der Fressfeind der Paviane ist der Leopard. Findet der Leopard einen einzelnen Pavian, kann er ihn schlagen und fressen. Greift der Leopard aber eine ganze Gruppe von Pavianen an, dann macht er einen dummen Fehler. Denn zusammen können die Paviane einen Leoparden überwältigen, zerfleischen und auffressen. Die Lehre daraus ist: Gemeinsam sind wir stark. Es ist eben wichtig zu wissen, wie die anderen reagieren. Und genau hier ist vermutlich der evolutionäre Hintergrund zu verorten, warum Ängste ansteckend sein können.

Ängste nützen, weil sie uns schützen?

Unter allen Emotionen ist die Funktion der Angst eine der klarsten. Sie warnt vor Gefahren und bereitet rasches Handeln vor. Allerdings sind wir so gebaut, dass wir in erster Linie Dinge beachten, die unbekannt oder nicht alltäglich sind, oder die wir unfreiwillig tun. Bei diesen Dingen überschätzen wir die Gefahr.

Im Interview: 

Jürgen Margraf, 63, ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum und Dekan der Fakultät für Psychologie. Er forscht zu psychischen Störungen.

Und weil wir über das Coronavirus bislang wenig wissen, sind unsere Ängste möglicherweise größer, als sie es sein müssten?

Entscheidend für unsere Angst ist, wie wir die Realität wahrnehmen, und nicht so sehr, wie die Realität ist. In westlichen Kulturen neigen wir stark dazu, Ängste auf das Individuum zu attribuieren, also auf die Person, über die man dann beispielsweise sagt, sie sei halt ein ängstlicher Typ. Persönlichkeit erklärt aber nicht alles. Angst entsteht in bestimmten Situationen, und diese Situationen haben einen viel größeren Einfluss auf die Reaktionen als die Persönlichkeit. Wer also in einer Situation steckt, die von der Mehrheit der ihn Umgebenden als Gefahr wahrgenommen wird und überdies seine eigenen Fertigkeiten zur Bewältigung dieser Situation als schlecht einschätzt, der wird ängstlicher reagieren als ein anderer.

Nun gibt es Personengruppen, die tatsächlich einem höheren Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus ausgesetzt sind, Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger beispielsweise. Die Angst dieser Menschen müsste größer sein?

Nicht unbedingt. Wer Gefahr wahrnimmt, aber dabei das Gefühl hat, die Lage im Griff zu haben, etwa weil er gut über Infektionsrisiken oder Krankheitsverläufe Bescheid weiß, der empfindet die Gefahr als weniger beängstigend. Ärztinnen und Ärzte haben zudem eine Rolle, mit der sie sich identifizieren, und eine Aufgabe, die sie sich freiwillig gesucht haben. Beides führt dazu, dass sie sich eher sagen, ich habe jetzt gar keine Zeit, mich hinzusetzen und zu grübeln, denn wer soll sonst helfen, wenn ich es nicht mache?

Umgekehrt kann ich aber auch als fest angestellte Redakteurin mit unbefristetem Vertrag und Lohnfortzahlung im Quarantänefall unter Schlaflosigkeit und Panikattacken leiden, weil ich befürchte, Corona nicht allein bewältigen zu können?

Klar. Und ebenso gut möglich ist es, dass Ihr Kollege in Afrika, der vom Journalismus allein ohnehin noch nie leben konnte, Ihnen entgegnet, dass er die Ernte nicht einbringen kann, weil er kein Saatgut mehr hat und die Rebellen nebenan sind. Und da hat er gerade ganz andere Sorgen, als sich jetzt vor einem Virus zu fürchten. Insofern ist das Aufregungspotenzial in saturierten, reichen Gesellschaften für dieses Thema vielleicht größer als in anderen.

Ebola, Sars, die Schweine­grip­pe: Es gab schon zahlreiche, hoch ansteckende Viren, die über Ländergrenzen hinweg großflächig verbreitet wurden und Tausende Menschen krank gemacht haben. Dennoch sind damals nicht die Börsen eingebrochen.

Die Reaktionen sind sicherlich jetzt auch stärker, weil das Virus tatsächlich bei uns angekommen ist. Vor Ebola, einem Virus, das ja sehr viel tödlicher ist und überdies mit einem schrecklichen Krankheitsverlauf einhergeht, hätte man sehr viel mehr Angst haben können. Aber diese Gefahr wurde von vielen Europäern offenbar nicht als eine unmittelbare wahrgenommen. Was wir jetzt bei Corona beobachten, ist die Furcht vor dem Fremden, das aus Asien zu uns kommt. Und da finde ich die Reaktionen schon bemerkenswert. Denn an sich ist es nichts Neues, dass Erreger von Tieren auf den Menschen überspringen und sich dann in Ost-West-Richtung verbreiten.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Warum von Osten nach Westen?

Weil das für die Erreger am einfachsten ist, sie wandern in der gleichen Klimazone weiter. Das passiert seit Tausenden von Jahren.

Woher kommt dann diese Angst vor dem Fremden, wenn das Phänomen offenbar nicht fremd ist?

Ich habe keine abschließende Erklärung. Aber ich habe mich speziell bei Corona schon gefragt, wo eigentlich unsere großen Hilfeaufrufe waren für die kranken Menschen in China, die Spendenaktionen, die Solidaritätsbekundungen. Normalerweise spenden wir bei solchen Dramen Essen, Decken und Geld. Diesmal nicht. Jetzt kann es sein, dass China zuletzt so viel Macht und Stärke demonstriert hat, dass wir denken, die brauchen unsere Hilfe gar nicht. Es könnte aber auch sein, dass da ein kleiner rassistischer Unterton mitschwingt.

Führt Angst dazu, dass die Solidarität schwindet?

Angst kann dazu führen, dass Menschen meinen, sie seien sich selbst der Nächste, nach dem Motto: Rette sich, wer kann. Andererseits können Ängste auch dazu führen, dass Menschen in Gruppen sich solidarisieren und dann zusammenhalten. Was darüber entscheidet, wann welcher Weg gegangen wird, ist nicht hinreichend verstanden.

Wie können wir lernen, trotz unserer Angst vor Ansteckung gut zu leben?

Alles, was in der Wahrnehmung unser Gefühl steigert, die Dinge vorhersagen und kontrollieren zu können, kann uns helfen, einen stressärmeren Umgang mit der Bedrohung zu finden. Wenn ich über transparente und korrekte Informationen über die Infektionsrate verfüge und diese Fakten vor allem in Bezug setzen kann zu anderen Risiken, dann fühle ich mich deutlich weniger beeinträchtigt. Deswegen wäre es zum Beispiel sehr sinnvoll, Schulkindern statistische Grundkenntnisse beizubringen. Und wenn ich dann noch das Gefühl habe, dass ich die Gefahr kontrollieren kann, indem ich aktiv etwas Nützliches tue, also etwa mir die Hände wasche, dann nimmt die Angst ab.

Unabhängig davon, ob dieser Aktionismus etwas bringt?

Entschuldigung! Die Kosteneffektivität von Händewaschen als Gesundheitsmaßnahme ist unübertroffen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!