Die Filme der Flecks

Luise Fleck gilt als zweite Regisseurin der Welt. Das Zeughauskino zeigt einige Filme, die sie gemeinsam mit ihrem Mann Jakob und Liddy Hegewald realisierte

Drama um sexuelle Gewalt, Scham und Täter-Opfer-Umkehr: „Mädchen am Kreuz“ (1929) Foto: Film­archiv Austria

Von Fabian Tietke

Buchvertreter Hesse liebt Maria, seine Tochter aus erster Ehe. Die junge Frau studiert in Berlin an der Universität und genießt das Leben. Der Stummfilm „Mädchen am Kreuz“ beginnt als Liebeskomödie im Berliner Sommer. Doch schon als Maria das erste Mal das Haus verlässt, geifern ihr zwei junge Männer nach. Schließlich kippt der Film in einer einzigen Szene in ein „Drama um sexuelle Gewalt, Scham und Täter-Opfer-Umkehr“ (Katalogtext). „Mädchen am Kreuz“ eröffnet am kommenden Dienstag die Filmreihe „Kolm/Fleck/Hegewald – Ein Wiener Regie-Ehepaar und seine Berliner Produzentin“ im Berliner Zeughauskino.

Im letzten Jahr hatte das Filmarchiv Austria auf der Viennale eine Werkschau des Regieehepaars Luise und Jakob Fleck. Das Zeughauskino zeigt nun den März hindurch eine Auswahl jener Filme, die die Flecks in Zusammenarbeit mit der Produzentin Liddy Hegewald Mitte der 1920er Jahre in Berlin realisierten.

Luise Fleck gilt nach Alice Guy-Blaché als zweite Regisseurin der Welt. Ihre Filmkarriere begann 1910, als sie gemeinsam mit ihrem damaligen Mann Anton Kolm und ihrem späteren, zweiten Mann Jakob Fleck die Erste österreichische Kinofilms-Industrie AG gründete. Im gleichen Jahr erzielte die Firma einen ersten Erfolg, als sie das Begräbnis des Wiener Bürgermeisters (und glühenden Antisemiten) Karl Lueger filmte und damit der französischen Firma Pathé Konkurrenz machte. Neben patriotischen Filmen wandte sich das Trio früh auch progressiveren Themen zu und drehte Crossdressing-Komödien wie den leider verlorenen Film „Martha mit dem Hosenrock“.

Die Firmennamen kamen und gingen, und nach dem Tod von Anton Kolm heirateten ­Luise und Jakob Fleck und gingen 1926 nach Berlin. In Berlin arbeiteten die Flecks vor allem mit der Produzentin Liddy Hegewald, die ab 1909 eine Kinokette in Sachsen und Sachsen-Anhalt aufgebaut hatte. Hegewald hatte mit ihrer Filmproduktion bis Mitte der 1920er Jahre vor allem auf die damals beliebten und verlässlich lukrativen Detektivfilme gesetzt. Die Filme der Flecks fügten der Palette ihrer Produktionen ein neues Element hinzu.

Der erste Film, den die Flecks 1926 in Berlin fertigstellten, war die erste Verfilmung von Ludwig Anzengrubers Theaterstück „Der Meineidbauer“, das 1871 im Theater an der Wien Premiere feierte. Mathias Ferner neidet seinem älteren Bruder Jakob den Hof und missbilligt dessen Beziehung zur Magd Vroni. Als sich Jakob endlich durchringt, die Magd trotz der Einwände seines Bruders zu heiraten, hat er kurz vor der Hochzeit einen Herzinfarkt und stirbt. In einem Brief an seinen Bruder vermacht er all seinen Besitz einschließlich des Hofes der Magd. Mathias unterschlägt den Brief und jagt Vroni samt ihrer Kinder vom Hof. Als sie ihn verklagt, leistet er einen Meineid und gewinnt den Prozess. Er steigt zu einem angesehenen Mann im Dorf auf. Jahre später droht sich die Geschichte mit einer Tochter Vronis zu wiederholen.

Der jüdische Schauspieler und Regisseur Siegfried Philippi adaptierte das Theaterstück mit einigen Änderungen für den Film der Flecks und besorgte gemeinsam mit dem Kameraprofi Friedrich Weinmann die Bildgestaltung. Der Film ist ein dichtes Drama aus der bäuerlichen Welt, dem die Volkstümelei späterer Verfilmungen weitgehend abgeht. Stattdessen kritisiert er am Beispiel des jüngeren Bruders, der sich den Hof aneignet, die Verlogenheit des Honoratiorensystems. Eduard von Winterstein spielt die Missgunst des Mathias Ferner mit polteriger Psychologie.

Die zeitgenössische Presse war angetan. Die Vossische Zeitung schrieb: „Eine geschickte Regie hat die Aufnahmen in schöne Landschaften gestellt, wild, zerklüftet, romantisch, wie der Sinn ihrer Bewohner. […] Ein sehr erfreulicher Film.“

1931 macht die Produktionsfirma von Liddy Hegewald Pleite, die Umstellung auf den Tonfilm war finanziell zu fordernd. Mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 kehren die Flecks nach Österreich zurück. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 wird Jakob Fleck als Jude zunächst im KZ Buchenwald, später in Dachau inhaftiert. 1940 können die Flecks nach Schanghai fliehen, drehen dort einen letzten Film. Nach ihrer Rückkehr nach Österreich gelingt es ihnen nicht mehr, in der Filmproduktion Fuß zu fassen. Zur Retro­spektive der Viennale publizierte die Journalistin Uli Jürgens im Mandelbaum-Verlag den Band „Louise, Licht und Schatten – Die Filmpionierin Louise Kolm-Fleck“. Eine gute Begleitlektüre auch zur Berliner Reihe.

Kolm/Fleck/Hegewald – Ein Wiener Regie-Ehepaar und seine Berliner Produzentin: Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum, Unter den Linden 2, 3.–29. März