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Fehlt nur die Hundescheiße

Am Goetheplatz inszeniert Klaus Schumacher Brechts „Dreigroschenoper“ ausgesprochen sehenswert, auch wenn er dem Stück die kulinarische Seite nicht auszutreiben vermag

Noch da, aber immerhin ordentlich aufgewirbelt: der Staub der „Dreigroschenoper“ Foto: Jörg Landsberg/Theater Bremen

Von Benno Schirrmeister

Richtig böse wird es nur an einer Stelle. Als er an der leeren Gefängniszelle steht – eine hell erleuchtete versenkbare Haftkapsel – ertönt ein Lachen aus dem Orchestergraben. Und da fährt es in ihn und der lächerliche Polizei-Chef Brown, sonst so Nestroy-leutselig und Harpo-marxistisch-verschmust gespielt von Martin Baum, wird zum Tiger.

Blitzschnell und kochend vor Wut, das Gesicht scheint zu zerreißen, langt er in den Orchestergraben, greift sich die Trommel. Demonstrativ, mit einer raschen harten Handbewegung durchsticht er sie. Und in dieser hasserfüllten Bewegung resümiert sich trocken die ganze Gemeinheit der Welt, die Unmöglichkeit der Solidarität und das Übel, das Menschen jederzeit gewillt sind, einander anzutun. Aus nichtigsten Gründen. Ohne Gründe.

„Ha! Ha! Ha!“, lacht Martin Baum Silbe für Silbe runter auf den Musiker, dem er gerade sein Arbeitszeug vernichtet hat. Die Temperatur im Theater am Goetheplatz sinkt um ein halbes Grad: Vielleicht sind es wirklich die skrupulös ausgearbeiteten kleinen Szenen, die Bert Brechts „Dreigroschenoper“ am Goetheplatz zu einer eindrucksvollen Produktion machen, die Komik, in der das Böse doch noch lauert neben der Unterhaltung (manche nennen’s Fun). Premiere war am 22. Februar.

Und erzählt wird, ganz texttreu, der Untergang des Obergangsters Macheath alias Mackie Messer, den Johnathan und Celia Peachum, Inhaber des Londoner Bettlerimperiums, ins Gefängnis und an den Galgen bringen – na ja, oder fast, das Ende ist ja noch viel schlechter: Auslöser der Intrige ist seine Heirat mit deren Tochter Polly Peachum, das Vorspiel einer feindlichen Übernahme also. Alles ist schäbig, auralos, hass- und gier­erfüllt. Alles ist purer Kapitalismus: Die „Dreigroschenoper“ ist ein Gericht, das kalt, versalzen und mit Hundescheiße gewürzt gegessen werden müsste. Aber wann würde das schon jemals gelingen?

Auch Regisseur Klaus Schumacher vermag dem Jahrhundertwerk seine kulinarische Seite nicht auszutreiben: Auch nicht beim – sehenswert, aber eben doch wieder sehr kunstvoll und schön – rhythmisch zergliederten Haifisch-Evergreen: Die Betonungen gegen den Strich haben tatsächlich schon etwas von Notwehr. Denn es gibt Leute im Publikum, die bei Kurt Weills Songs mitsummen. Bei der Ballade von der Unzulänglichkeit des menschlichen Planens kann vehement an Schunkeln gedacht werden: die Band unter der Leitung von Tobias ­Vethake spielt aber auch wirklich je später der Abend, desto mitreißender.

So wenig, wie eine Revolution den Kapitalismus hinwegfegen wird, so unmöglich ist es, den Staub der „Dreigroschenoper“ zu beseitigen

Hier wird niemand „auf den Hut gehaut“. Das wäre ja vergebens. Die sarkastischen Sentenzen Brechts sind längst zu Kalendersprüchen herabgesunken. Und so wenig, wie eine Revolution den Kapitalismus hinwegfegen wird, so unmöglich ist es, den Staub zu beseitigen, den die „Dreigroschenoper“ seit ihrer Uraufführung 1928 in Berlin angesetzt hat, und den Bühnenbildnerin Katrin Plötzky, auch um das zu beweisen, zentimeterdick auf alles und alle streut, Karen Simons prima-lumpige Kostüme eingeschlossen.

Bleibt also, ihn aufzuwirbeln und zu gucken, wie er sich wieder legt. Das macht das Ensemble ganz vorzüglich: Simon Zigah und Annemaike Bakker bilden als das hohe Paar von Gangsterkönig und Bettlerprinzessin ein vitales Zentrum, das vor Präsenz nur so strotzt: Selbst in der nur angedeuteten, post­apokalyptischen Kulisse könnte das in Illusionstheater umschlagen. Will man natürlich nicht.

Die Rettung heißt Slapstick. Also überdreht Bakker gehörig und Zigah bekommt etwas blaue Schminke ins Gesicht und die Applausordnung am Ende sieht keine Einzelauftritte vor: alles Ensemblesache. Die heillos bürgerliche Kritik nimmt sich die Freiheit, die zwei glorreichen Halunken trotzdem individualistisch zu bejubeln. Nur um das Lob gleich wieder zurückzunehmen. Denn es ist ja das Ensemble. Es wäre ungerecht, das so stehen zu lassen, ohne wenigstens noch Mr. Peachum hervorzuheben: den besten Guido Gallmann, den es je gab, und nicht wenigstens jedes einzelne Bandmitglied zu erwähnen. Die Namen stehen alle im Programmheft.

Wieder am 29. 2. sowie am 14., 19. und 25. 3., 19 Uhr, Theater Bremen

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