Leuchtende Hirnwellen

Das Kunstmuseum Celle verleiht seinen renommierten Lichtkunstpreis an Jan van Munster und zeigt 13 Objekte, zwei Fotoserien und einen Kurzfilm des Niederländers

Spiel mit Energie: Jan van Munsters Installation „Heat“ (1989) in der Vleeshal im niederländischen Middelburg Foto: Wim Riemens

Von Bettina Maria Brosowsky

Kunstpreise gibt es hierzulande in Hülle und Fülle, aber nur wenige maßen sich nationale Repräsentanz an wie der im Januar überreichte Deutsche Lichtkunstpreis 2020. Er ging an den Niederländer Jan van Munster, den bereits vierten Preisträger der alle zwei Jahre im Kunstmuseum Celle verliehenen Auszeichnung. 2014 wurde der Pionier der Gattung, Otto Piene (1928–2014), prämiert, er war zusammen mit dem Nagelkünstler Günther Uecker Mitbegründer der Düsseldorfer Formation Zero, die buchstäblich nach der „Stunde Null“ für die westdeutsche Nachkriegskunst suchte.

Piene gilt als Initiator der Medienkunst und hat über zwei Jahrzehnte als Leiter des Center for Advanced Studies am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gelehrt. Im Sommer 2014 widmete ihm die Neue Nationalgalerie in Berlin eine große Retrospektive, das Kunstmuseum Celle besitzt von ihm, unter anderem, einen kleinen Lichtraum aus dem Jahr 2001, der gerade wegen seiner analogen, fast anachronistischen Technik in seiner galaktischen Imagination berührt.

Weitere Träger*innen des Deutschen Lichtkunstpreises waren 2016 der Düsseldorfer Mischa Kuball, der ab Mai in der Gruppenausstellung „Macht! Licht!“ im Kunstmuseum Wolfsburg mit von der Partie sein wird, sowie 2018 die Österreicherin Brigitte Kowanz. Auch sie ist in der Region keine Unbekannte, war auf dem ersten Braunschweiger Licht­parcours anno 2000 vertreten und wird in der sommerlichen Neuauflage 2020 ihre „Lichttreppe“ erstmals im Außenraum zeigen.

„Es muss zum Schluss möglich sein, das Ganze zusammenzufassen in einer einzigen Bleistiftlinie“: Diesen ästhetischen Anspruch stellt der 1939 geborene Jan van Munster an seine Arbeiten. Wobei er den Bleistift durch das technische Requisit der filigranen Neonröhre ersetzt, der er erstaunliche bildnerische Themen abgewinnt.

In Celle sind derzeit 13 Objekte, zwei Fotoserien und ein Kurzfilm zu sehen. Stattliche Dimension ist seiner horizontal lagernden blauen „Brainwave (Ratio)“ zu eigen, sie entfaltet ihre enzephalografischen Kurven auf acht Metern Wandlänge. Als Grundlage hat ein Selbstversuch gedient, in zwei Fotografien aus den Jahr 1997 sind ein Porträt des Probanden mit einigen, eher lässig angeordneten Elektroden zu sehen sowie grafische Notationen dieses bildgebenden Verfahrens der Neurologie.

In ihrer Celler Installation ist „Brainwave (Ratio)“ aber nur der Auszug eines gigantischen Lichtobjekts, das sich über eine Länge von vierzig Metern und eine Höhe von sieben Metern spannen soll, wie der Website des Künstlers zu entnehmen ist. Dabei wird die geformte Linie aus blauem Neonlicht mit einer geraden Linie in Grün und einem vertikalen, blau-grünen Lichtstab konfrontiert.

In Celle wird auch eine kleinere, nun vertikale Variante der „Brainwave (Ratio)“ gezeigt, die vielleicht in die stärker konzeptuellen Arbeiten mit Referenzen der Op-Art überleitet. Da wären geometrische Konstellationen wie gerundete Dreiecke oder schiere Quadrate, die als Lichtstäbe, Drahtverspannungen oder Kreidezeichnungen verschiedene Transformationsstufen sich auflösender Materie durchdeklinieren.

1998 wurde das Kunstmuseum Celle als erstes 24-Stunden-Kunstmuseum der Welt beim Deutschen Patentamt München registriert

Es gibt zudem paradox geschwärzte Neonröhren, die nur nach hinten, also gegen die Wand, ein magisches Licht emittieren, und komplizierte Kompositionen, die übereck gelesen werden wollen. So Munsters „Edged Circle in Corner“ mit knapp drei Meter Durchmesser, dessen planes Pendant gleicher Größe im rund sechs Meter hohen Erdgeschossfoyer anzutreffen ist.

Womit man auch schon bei der Architektur des Kunstmuseums Celle wäre: Sein Schwerpunkt zur Lichtkunst durch die Sammlung des ehrenamtlich tätigen künstlerischen Leiters Robert Simon soll sich auch nach außen darstellen. Ein zeichenhafter, in mehrere Glasschichten gehüllter Kubus dient deshalb seit 2005 nicht nur der Zugangsfunktion, er wird bei Einbruch der Dunkelheit von innen in stündlich wechselnden Farben hinterleuchtet.

Damit bildet er den Startpunkt einer Lichtkunstpräsentation entlang der Fassaden des Hauses, das 1998 als erstes 24-Stunden-Kunstmuseum der Welt beim Deutschen Patentamt München registriert wurde. Umrundet man das Haus, trifft man an der Marienkirche auf zwei feuerrote Stahlskulpturen, die wie erstarrte Silvesterraketen über acht Meter in die Höhe ragen. Auch sie stammen von Otto Piene und senden nächtens einen kilometerweit sichtbaren, vertikalen Lichtstrahl in den Himmel.

Hatte Otto Piene den Traum, mithilfe des Lichts in den Nachthimmel „das Universums, so wie es sich dem Licht bietet, unberührt, ohne Hindernisse“ zu ertasten, so verknüpfen die Werke Jan van Munsters geistige Spannungen wie Ideen und Schöpfungskräfte mit physikalischen Prozessen: „Mein Werk handelt von Energien, von Zeit und Raum und den Gegensätzen, die darin enthalten sind: Licht und Dunkel, Wärme und Kälte, Hass und Liebe, Anziehen und Abstoßen, Lärm und Stille.“ Dieser Weltenzusammenhang wird vielleicht in einem kleinen Film Munsters, „Movement Towards a Larger Order“, am deutlichsten: Munster brennt ein Streichholz bis zum Ende ab, zerreibt den verkohlten Rest in seinen Handflächen zu Asche – und ein Gewitter durchfährt den dunkelroten Himmel.

Ausstellung „Jan van Munster – Deutscher Lichtkunstpreis 2020“: bis 8. 3., Celle, Kunstmuseum