Kriegsverbrecher bleibt im Allgäu

Nach dem Karlsruher Urteil zum EU-Haftbefehl wird ein dänisch-deutscher SS-Mann nicht nach Dänemark ausgeliefert

STOCKHOLM taz ■ Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Gültigkeit des deutschen Ausführungsgesetzes zum EU-Haftbefehl war auch in Dänemark eine Topmeldung. Denn nicht nur aktuell Terrorverdächtigen droht mit dem Haftbefehl die Auslieferung ins Ausland, sondern auch mutmaßlichen Nazi-Kriegsverbrechern. Weshalb Kopenhagen Anfang dieses Jahres bei der Münchner Staatsanwaltschaft auch ein Auslieferungsbegehren gegen einen 83-jährigen Deutschen gestellt hatte. Doch am Montag wurde aufgrund der Entscheidung Karlsruhes die Auslieferung des ehemaligen dänischen SS-Offiziers Søren Kam abgelehnt.

Am 30. August 1943 war der Journalist Carl Henrik Clemmensen in Lyngby erschossen worden. Todesschützen waren laut dem Ergebnis jahrzehntelanger Ermittlungen der dänischen Justiz der Obersturmbannführer der Waffen-SS Søren Kam und zwei weitere dänische SSler. Die Tat war Teil einer „Säuberungsaktion“, bei der Todespatrouillen der deutschen Besatzung und ihrer dänischen Handlanger im Herbst 1943 mindestens 125 Menschen brutal ermordeten.

Das „Verbrechen“ von Clemmensen: Er hatte auf einem Bahnhof einen Nazi-Journalisten lautstark beschimpft und vor ihm auf den Boden gespuckt. Dafür wurde er von der Privatgerichtsbarkeit eines Søren Kam & Co verhört, wohl auch gefoltert und dann aus einem Auto geworfen und mit acht Kugeln aus drei Pistolen erschossen. Eine davon war die von Søren Kam. Kurze Zeit nach der Tat gab Kam vor einem SS- und Polizei-Gericht in Berlin auch zu, fünf der acht Schüsse abgegeben zu haben. Nur der SS-Mann Knud Flemming Helveg-Larsen wurde für die Tat 1946 in Dänemark verurteilt und hingerichtet. Søren Kam und der dritte Täter waren verschwunden.

Nach Kriegende tauchte Kam als verdienter Soldat mit Ritterkreuz in Deutschland auf, wo ihm 1956 die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen wurde. 1971 wird beim Landgericht München II ein Ermittlungsverfahren gegen Kam eingestellt. Man hatte Kams fadenscheinige Einlassung akzeptiert, er habe „in einem Akt solidarischer Haltung“ mit seinen Kollegen auf den schon tot am Boden liegenden Clemmensen einige Schüsse abgegeben. Dass dies mit einem Obduktionsbericht, den die dänische Justiz 1997 nach Deutschland schickte, wohl nicht in Übereinstimmung zu bringen ist, änderte nichts.

Søren Kam selbst sorgte dafür, dass man wieder auf ihn aufmerksam wurde. Im Oktober 1995 nahm er in Österreich mit dem Ritterkreuz an der stolzen Brust an einem Treffen der Waffen-SS teil. Journalisten stöberten ihn daraufhin in Kempten im Allgäu auf und die dänische Justiz wurde erneut aktiv. Zuletzt aufgrund des Ausführungsgesetzes zum EU-Haftbefehl.

Und das zuständige Gericht in Lyngby dürfte wohl nach einem Inkrafttreten eines neuen deutschen Ausführungsgesetzes die Akten wieder nach München auf den Weg schicken. Eine Chance hätte Kam allerdings auch dann noch, sein Reihenhaus in Kempten nicht mit einer Haftzelle in Dänemark vertauschen zu müssen. Von einer Auslieferung kann abgesehen werden, wenn gegen den Betroffenen bereits ein Ermittlungsverfahren in Deutschland eingeleitet oder eingestellt wurde. Zuständig für diese Entscheidung ist der Landesjustizminister. Und mit der Blindheit der Justiz des Freistaats Bayern hat Kam in der Vergangenheit beste Erfahrungen gemacht.

REINHARD WOLFF