Nicht nebenher zu machen

ENTWICKLUNGSHILFE Ohne eigenes Ministerium verlieren renditeferne Politikkriterien an Legitimität - in Zeiten der Krise sind sie besonders wichtig

■ ist Geschäftsführerin von terre des hommes. Seit 1990 ist sie in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, unter anderem als Leiterin der entwicklungspolitischen Abteilung von Brot für die Welt.

Wahrscheinlich stimmen alle Leserinnen und Leser dieser Zeitung sofort zu, dass die Zuständigkeit für die Atomindustrie beim Umweltministerium bleiben soll und nicht an das Wirtschaftsministerium verschoben werden darf. Die Gründe liegen auf der Hand - es geht um die Legitimität renditeferner Politikkriterien und um ein eigenständiges Gegenüber mit Kontroll- und Entscheidungsmacht.

Im Unterschied dazu kommen bei der Frage eines eigenständigen Entwicklungsministeriums viele rasch ins Grübeln. Dabei geht es eigentlich um dasselbe Prinzip: Sicher stellen, dass es im Kabinett eine eigenständige Perspektive und Handlungskompetenz für globale Gerechtigkeitsfragen gibt. Die Alternative wäre die Verteilung der entwicklungspolitischen Aufgaben vor allem auf das Außen- und Wirtschaftsministerium. Entwicklungspolitik würde zum Wurmfortsatz der Außenpolitik und -wirtschaft degenerieren und den geostrategischen und wirtschaftspolitischen Eigeninteressen Deutschlands und Europas untergeordnet werden.

Entwicklungspolitik als Wurmfortsatz

Der Blick über die Grenze nach Dänemark vermag diese Prognose nicht zu schönen. In der Tat wird dort unter dem Dach des Außenministeriums beachtliche Entwicklungsarbeit geleistet. Hinzu kommt eine große Durchlässigkeit zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. Beides geht gut, weil Dänemark ebenso wie Norwegen und Schweden im Vergleich zu Deutschland ein kleines Gemeinwesen und bescheidener Global Player ist. Dem gegenüber sind die außenwirtschaftlichen Interessen und deren Lobby in Deutschland unvergleichlich mächtig und dominant in der Außenpolitik.

Die FDP tritt nun in den Koalitionsverhandlungen erneut für die Abschaffung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) ein. Sie tut dies in einem Moment, in dem die dreifache Krise von Weltwirtschaft, Welternährung und Klima die strukturellen Probleme der ärmsten Länder in dramatischer Weise verschärft. Rohstofferlöse sind eingebrochen, Kapitalzuflüsse versiegen, Staatseinnahmen erodieren, extreme Wetterereignisse infolge der Klimakrise wie Dürren oder Überschwemmungen bedrohen tausendfach Existenzen. Die Zahl der Hungernden stieg im letzten Jahr auf über eine Milliarde. Die Weltbank schätzt, dass im Kontext der Finanzkrise mehr als 100 Millionen Menschen zusätzlich in extreme Armut gestoßen werden und sich allein die Zahl der Kinder, die an Unterernährung sterben, um 200.000 bis 400.000 pro Jahr erhöhen könnten.

Und doch zielt ein Großteil der globalen Maßnahmen zur Krisenbewältigung nur darauf ab, weiteren Schaden vom Finanz- und Bankensektor abzuwenden und möglichst rasch wieder zum Alltagsgeschäft zurück zu kehren. Mehr noch: Hinter den 2.700 Milliarden Euro, die die Industrieländer für ihre Konjunkturprogramme mobilisiert haben, verbergen sich nicht wenige Maßnahmen wie Exportsubventionen, die zusätzlichen Schaden in den Entwicklungsländern anrichten.

Es wäre das falsche politische Signal, jetzt das Feld einer eigenständigen Entwicklungspolitik aufzugeben. Es wäre der Verzicht darauf, die Strukturprobleme zwischen Industrie- und Entwicklungsländern als eigenständige Herausforderung ernst zu nehmen. Natürlich ist die bloße Existenz eines Entwicklungsministeriums keine Garantie dafür, dass Deutschland seiner Verantwortung für Armutsbekämpfung und die gerechte Gestaltung der Globalisierung gerecht wird. Aber ohne eigenes Ressort mit entsprechendem parlamentarischem Ausschuss als Gegenüber wäre es ungleich schwieriger, die globalen Herausforderungen Hunger und Armut unüberhörbar an den Kabinettstisch zu bringen.

Es wäre auch ein falsches Signal, nicht die Frage nach der Qualität staatlicher Entwicklungsarbeit zu stellen. Dazu gehört unter anderem die überfällige Reform der Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit. Es gibt kaum ein anderes OECD-Land, das sich eine ähnliche Trennung der Durchführungsaufgaben in technische (TZ) und finanzielle Zusammenarbeit (FZ) leistet. Kleinliche parteipolitische Blockaden, die bislang eine Zusammenlegung der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu verhindern wussten, sollten rasch überwunden werden. Mindestens ebenso wichtig wie das Ende der kostspieligen Institutionenkonkurrenz ist eine Konzentration der Hilfe auf die ärmsten Länder und die drängendsten Probleme wie Ernährung, Bildung und Gesundheit, Demokratie und Menschenrechte sowie Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels.

Null-Wachstum im Etat

Die außenwirtschaftlichen Interessen und deren Lobby sind in Deutschland unvergleichlich mächtig

Das sind absolut „systemrelevante“ Maßnahmen der globalen Krisenbewältigung. Dafür müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Derzeit herrscht aber Null-Wachstum im BMZ-Etat. Geht es nach dem FDP-Finanzexperten Hermann Otto Solms, einem der möglichen Anwärter auf das Amt des Finanzministers, so soll zum massiven Abbau der Staatsausgaben vor allem die Überprüfung - sprich: Kürzung - der Ausgaben für die Entwicklungshilfe beitragen. Dies ist inakzeptabel. Die Erreichung der Milleniums-Entwicklungsziele, auf die sich die internationale Gemeinschaft im Jahr 2000 verständigt hat, ist aufs Höchste gefährdet.

Nur zur Erinnerung: Deutschland belegt, bezogen auf seine Wirtschaftskraft, international nur einen peinlichen 14. Platz im unteren Mittelfeld der Gebergemeinschaft. Wenn im Rahmen der mittelfristigen Haushaltsplanung ab 2010 nicht jährlich 1,7 Milliarden Euro dazu kommen, rückt die Erreichung der internationalen Verpflichtung, bis 2015 0,7 Prozent unseres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden, in unerreichbare Ferne. Das kann vermieden werden.

So könnte Deutschland noch viel entschiedener dazu beitragen, dass endlich eine internationale Finanztransaktionssteuer eingeführt wird - als Beitrag zur Entschleunigung der internationalen Finanzmärkte und als eines der neuen Finanzierungsinstrumente für die weltweite Bekämpfung von Armut und Klimakrise. DANUTA SACHER