„Da-da-da-daaaa!“

Das Gefangenentheater aufBruch hat in Kooperation mit der Philharmonie ein neues Stück auf die Knastbühne gebracht: Ludwig van Beethovens einzige Oper, „Fidelio“. Ein Schauspiel über Gefangenschaft und Befreiung, Liebe und Treue. Gespielt wird in der JVA Tegel

Das Gefange­nentheater mit einer Szene aus „Fidelio“ Foto: Thomas Aurin

Von Plutonia Plarre

In dem alten Zellenhaus ist es stockdunkel. „Da-da-da-daaaa!“, schallt es durch den panoptischen Bau. Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie. Im Scheinwerferlicht kommt ein Mann in Schlips und Kragen vom obersten Geschoss die schmale Treppe hinunter. Ein windiger Advokat. Die rechts und links der Treppe stehenden Gefangenen geben ihm ihre letzten Dukaten. Nacheinander lösen sich zwei Insassen aus der Gruppe und beginnen nach der Schicksalssinfonie zu rappen.

Das unabhängige Berliner Gefängnistheater aufBruch unter Regie von Peter Atannasow hat hinter Gittern ein neues Stück auf die Bühne gebracht: „Fidelio“, Beethovens einzige Oper, steht auf dem Programm und andere Kompositionen des Meisters anlässlich von dessen 250. Geburtstag. Kompositionen, „die auf besondere Weise die rebellische Weite und die visionäre Kraft seine Werkes offenbaren“, wie es im Begleittext heißt.

Zur Generalprobe am Dienstag in der JVA Tegel ist die Presse eingeladen. Alle kommenden 12 Aufführungen in den nächsten Wochen sind bereits ausverkauft. 5.000 Menschen stehen bei aufBruch im Verteiler, binnen eineinhalb Stunden seien alle Tickets weg gewesen, sagt die Produktionsleiterin Sibylle Arndt. 75 Plätze für die Öffentlichkeit plus acht für Gefangene gibt es pro Vorstellung. Kulturaufführungen inklusive Proben bedeuten für die JVA Tegel einen hohen zusätzlichen Personalaufwand. Alle von auswärts Kommenden werden am Eingang kontrolliert, nichts darf mit reingenommen werden.

AufBruch feiert dieses Jahr sein 22. Jubiläum. Wie schon frühere Aufführungen findet auch „Fidelio“ in dem seit fünf Jahren leerstehenden früheren Langstraferhaus, TA III genannt, statt. Das frühere Zuchthaus wurde 1898 gebaut. Ein Stück über Kerker und Gefangenschaft, gespielt von Gefangenen vor echter Kulisse, schon das allein ist den Abend wert.

Im Geiste der Französischen Revolution komponiert, verhandelt Beethovens Oper die Überwindung von Willkür und Tyrannei durch eine todesmutige Frau: Leonore. Ihr gelingt es, als Mann verkleidet und unter dem Decknamen Fidelio, ihren eingekerkerten Mann Florestan aus den Fängen des Gewaltherrschers Don Pizarro zu befreien.

Eigentlich sei Fidelio eine Befreiungsoper, sagt Hans Dieter Schütt, Dramaturg von aufBruch, vor der Aufführung. In Tegel würden keine willkürlichen, sondern regulär verhängte Strafen verbüßt. „Aber auch hier steht die Treue und die Kraft der Liebe über allem.“ Viele Beziehungen der Inhaftierten gingen während der Haft in die Brüche. Oft habe man während der Proben über das Thema Treue gesprochen.

Wieder ist es der Dirigent Simon Rössler von den Berliner Philharmonikern, der für aufBruch die Aufführung musikalisch konzipiert hat. Studentinnen und Studenten der Karajan-Akademie und Studierende der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ sorgen für die musikalische Begleitung. Bestehend aus einem Streichquartett, einer Klarinette und einem Klavier ist das Orchester klein, aber fein.

Das Schauspielerensemble 17 Männer, allesamt Insassen der JVA Tegel, geben ihr Bestes. Es wird gespielt, gesprochen, gerappt und gesungen. Bei dem Gefangenen, der den Gewaltherrscher Pizzaro darstellt, hört es sich an, als sei er immer Opernsänger gewesen. Einige sind schon lange bei aufBruch dabei. Wer in Tegel einsitzt, verbüßt in der Regel eine lange Freiheitsstrafe. Ein kleiner, beleibter Mann mit grauen Haaren sticht heraus. Viele Schauspieler haben wohl einen Migrationshintergrund, die Haare sind oft kurzgeschoren.

Zwei Insassen beginnen nach der Schicksalssinfonie zu rappen

Immer wieder wechselt das Publikum während der zweistündigen Aufführung die Trakte. Durch dunkle Flure und über Treppen, die Galerien darüber sind angestrahlt, geht es vom D-Flügel über den sogenannten Stern – die Zentrale – in den B- und A-Flügel und zurück in den Stern. Mal findet das Geschehen im Erdgeschoss direkt vor den Zuschauern statt, dann wieder über ihren Köpfen, sodass sie nach oben blicken müssen.

Es gibt an diesem Abend viele Gänsehautmomente.

Im Seitenflügel A, der den Nazis bis 1943 als Wehrmachts-Untersuchungsgefängnis diente, wird als Zwischenspiel „Die Geiseln“ des jüdischen Schriftstellers und Kommunisten Rudolf Leonhardt aufgeführt. Zehn unschuldig zum Tode Verurteilte, jeder steht vor einer alten Zellentür, haben zehn Minuten Zeit, über ihr Leben nachzudenken. Oben auf der Galerie wachen zwei Männer in langen SS-Mänteln. Ein türkisches ­Liebeslied wird von zwei der zum Tode Verurteilten angestimmt.

Eine Reflexion über Beziehungen, Liebe und Treue bildet das Ende. Nebeneinander hinter Gittern stehend spricht jeder zu sich. Mehr und mehr wird das Gesagte zu einer Verteidigungsrede für ihre Frauen. „Denke nicht immer nur an dich. Höre ihr zu und ermuntere sie, ihren Interessen zu folgen.“