Außerhalb der Zeit

Nach dem Erfolg über Paris St.-Germain berauschen sich die Dortmunder am 19-jährigen Doppeltorschützen Erling Haaland und seiner unbändigen Energie

Sitzt oder schwebt er? Haaland schreiben manche in Dortmund schon übersinnliche Fähigkeiten zu Foto: ap

Aus Dortmund Daniel Theweleit

Geradezu ungläubig absolvierte der Schütze beider Dortmunder Tore nach dem 2:1-Sieg gegen Paris St.-Germain einen langen Interviewmarathon, den er mit Podolski-artigen Kurzsätzen ausstaffierte. „Ich weiß, dass ich noch viel lernen muss“, sagte der Stürmer, der nach diesem Abend als erster Fußballer der Geschichte in seinen ersten sieben Champions-League-Partien zehn Tore geschossen hat. Nach den Treffern Nummer neun und Nummer zehn verkündete er: „Für Nächte wie diese lebt man.“

Das war ein Satz, der simpel klingt, der aber viel über die Bedingungslosigkeit verriet, mit welcher der Norweger seiner Arbeit nachgeht. Die meisten Profis hätten eher gesagt, für solche Abende spiele man Fußball, aber nein: Für Haaland sind solche Erlebnisse sogar Lebenssinn. Genauso spielte er auch. Mit maximaler Intensität bei jeder Aktion. Zwar gelang ihm längst nicht alles; unter Druck, mit dem Rücken zum Tor wirkte er mitunter etwas unbeholfen, technisch unausgereift. Aber solche Defizite sind kaum mehr als Marginalien angesichts der unglaublichen Qualität dieses Fußballers. Sogar PSG-Trainer Thomas Tuchel, der von den französischen Journalisten ziemlich kritisch angegangen wurde, strahlte begeistert, als er nach Haaland gefragt wurde. Der Dortmunder Angreifer, schwärmte er, sei „ein Tier“, mit einer „unheimlich guten Energie, mit Speed und Zug zum Tor“.

Dabei waren beide Treffer Haalands auf ihre ganz eigene Art besonders. Der erste, weil er das Resultat einer unbändigen Gier im Strafraum war: Raphael Guerreiro hatte geschossen und den Fuß von Marquinhos getroffen. Kurz schien die Situation stillzustehen, alle mussten erst mal antizipieren, wo der Ball hinspringen würde. Nur Haaland agierte, als bewege er sich außerhalb der Zeit. Er tauchte genau dort auf, wo ein Torschütze stehen muss. Der Schuss zum zweiten Treffer hatte hingegen die Energie eines wilden Pferdetrittes. Solche Gewaltakte sind öfter mal auf den Fußballplätzen dieser Welt zu sehen, normalerweise fliegt der Ball dann viele Meter neben das Ziel. Haalands Ball jedoch raste genau unter die Latte.

Überdies war der Norweger der Akteur auf dem Platz gewesen, der die meisten Zweikämpfe aller Spieler führte „Er ist jemand mit einer immensen mentalen Stärke, er will immer vorneweg gehen. Er hat eine Supereinstellung, und das hilft der ganzen Mannschaft“, sagte Trainer Lucien Favre. Die Dortmunder hatten sich ja lange Zeit vehement gegen die so genannte „Mentalitätsdebatte“ gewehrt, in deren Rahmen Kritiker ihnen vorwarfen in den Extrembereichen der Spiele zu schwach zu agieren. Dort wo eher Emotionen und Haltungen als technisch-taktische Qualitäten über Sieg und Niederlage entscheiden. Nun haben sie sich mit Haaland und dem zweiten Winterneuzugang Emre Can in genau diesem Bereich spektakulär verstärkt.

Vor dem Spiel wurde bekannt, dass der ursprünglich nur von Juventus Turin ausgeliehene Can endgültig nach Dortmund wechselt. Der Vertrag läuft bis 2024, was auch Axel Witsel freuen dürfte. Der Belgier bildete mit dem neuen Kollegen das Dortmunder Mittelfeldzentrum und sagte: „Heute haben wir die Schlacht in der Mitte gewonnen.“ Dort wo Haaland ackerte, wo dahinter Witsel Ballsicherheit erzeugte, wo Can grätschte und Mats Hummels mit der Souveränität eines Weltmeisters verteidigte.

Dass vor Neymars zwischenzeitlichem 1:1 wieder mal einer dieser dummen Abwehrfehler passiert war, ging in der Freude fast unter. Im Rückspiel sei der BVB nun „psychologisch ein bisschen im Vorteil“, sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, denn für die Pariser breche „ja die Welt zusammen, wenn sie ausscheiden“.