Pussy Riot trommelt weiter gegen Putin

RUSSLAND Neues Protestlied gegen Präsidenten nach Verurteilung von drei Bandmitgliedern zu Lagerhaft. Orthodoxe Kirche will plötzlich Gnade walten lassen. Zahlreiche Festnahmen bei Protesten gegen Urteil

MOSKAU taz | Auch am Wochenende nach der Verurteilung sind die drei jungen Punkerinnen von Pussy Riot das beherrschende Thema in Russland. Weitere Bandmitglieder veröffentlichten im Internet eine „Single zum Urteil“, die Präsident Wladimir Putin erneut aufs Korn nimmt. „Das Land geht auf die Straße mit Mut, das Land sagt dem Regime auf Wiedersehen“, heißt es in dem Stück „Putin entzündet das Feuer der Revolution“. In einem im Internet veröffentlichten Kommentar kündigten die Frauen an, weiterzukämpfen.

Am Freitag waren die Feministinnen vom Moskauer Chamowniki-Gericht wegen „Rowdytums auf Grundlage religiösen Hasses“ zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Der Schuldspruch löste Empörung aus. Michail Fedotow, der Menschenrechtsbeauftragte des Kreml, hielt den Schuldspruch für einen „gefährlichen Präzedenzfall“. Auch westliche Politiker nannten das Urteil unverhältnismäßig.

Die russisch-orthodoxe Kirche, die die Punkerinnen zunächst vor Gericht gezerrt hatte, lenkte unterdessen ein. Auf der Internetseite des Moskauer Patriarchats bat die Kirche um Gnade für die verurteilten Frauen und verknüpfte das mit der Hoffnung, „dass die Frauen künftig von solchen gotteslästerlichen Handlungen lassen werden“.

Die Aktionskünstlerinnen hatten im Februar in der Christi-Erlöser-Kathedrale in Moskau ein Punkgebet abgehalten und die Gottesmutter um Mithilfe gebeten, Putin zu vertreiben. „Heilige Mutter Gottes, verjage Putin“, kreischten die Frauen.

Auch der Leiter des Moskauer Sretenski-Klosters, Tichon Schewkunow, schlug am Samstag im russischen Staatsfernsehen einen versöhnlichen Ton an. Schewkunow ist Präsident Putins Beichtvater und Ratgeber in geistlichen Fragen. Die russisch-orthodoxe Kirche habe den Mitgliedern der Punkband bereits unmittelbar nach deren Aktion in der Kirche vergeben, sagte er.

Das Versöhnungsangebot hat offensichtlich mit dem Imageschaden zu tun, den die Kirche erlitten hat. Sehr viele Gläubige haben sich abgewendet, weil sie von der harten, unchristlichen Haltung des Klerus enttäuscht sind. Das Patriarchat stützte sich vor allem auf Obskuranten und marginalisierte Kreise in seinen Reihen. Nun geht es zur Schadensbegrenzung über. „Mir tut es leid, dass dieses Urteil gefällt wurde“, sagte der frühere Pressesprecher des Patriarchats, Wladimir Wigiljanski. Nach dem Urteil waren etwa hundert Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude in Gewahrsam genommen worden. Die meisten wurden in der Nacht zum Samstag wieder auf freien Fuß gesetzt. Allerdings sollen 62 unter anderem wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht belangt werden.

KLAUS-HELGE DONATH