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Glyphosat auf Glitter

Monsanto im Fadenkreuz, IG Farben hinter Gittern: In ihrer Ausstellung „Pesticide Pop“ nimmt Kirsten Stolle die Marketingmaschinerie des Chemiegiganten Bayer auseinander

Installationsansicht von Kirsten Stolles „Pesticide Pop“ F oto: Anna Tiessen/Nome Berlin

Von Beate Scheder

Als Wundermittel brachte der Chemiekonzern Monsanto im Jahr 1974 das Breitbandherbizid Roundup auf den Markt. Der darin enthaltene Wirkstoff Glyphosat vernichtete Unkraut so schnell und effektiv, dass sich Roundup fortan rasant verkaufte. Roundup wurde zu einem internationalen Bestseller, nur leider einem mit Nebenwirkungen. Glyphosat steht seit einiger Zeit unter Verdacht, Krebs zu erregen. Monsanto soll Forschungsinstitute für positive Urteile bezahlt haben. In den USA laufen mehr als 40.000 Klagen gegen Bayer, das Monsanto 2018 – aus welchen Gründen auch immer – erwarb. Monsanto – von Kritiker:innen in Monsatan umgetauft – ist der wahrscheinlich meistgehasste US-Konzern, ein Inbegriff des Bösen, er steht für Profitstreben auf Kosten von Mensch und Umwelt, genmanipulierte Nahrungsmittel, Patente auf Saatgut und Naturprodukte.

All das könnte einem beim Durchstreifen von Kirsten Stolles Ausstellung „Pesticide Pop“ in der Nome Galerie durch den Kopf gehen. Monsanto und Bayer stehen im Fokus von Stolles Arbeiten und mit diesen die globalen Einflüsse der Agrarchemie- und Biotech-Industrie auf Nahrungsmittel, Gesundheit und Natur.

Ihre eigene, persönliche Betroffenheit brachte die Künstlerin vor ein paar Jahren darauf. Beim gemeinsamen Besuch der Ausstellung kurz vor der Eröffnung erzählt Stolle davon, wie sie, die sich als Vegetarierin viel von Sojaprodukten ernährt, vor zehn Jahren mannigfaltige gesundheitliche Beschwerden an sich bemerkte; wie sie begann Nachforschungen zu betreiben und sich so immer tiefer in die komplexe Sachlage gentechnisch veränderter Lebensmittel eingrub. Geradezu besessen sei sie von den dunklen Seiten der Agrarindustrie inzwischen, von Biotechnologie, Chemikalien und deren Folgen. Naheliegend war es irgendwann, sich auch künstlerisch damit zu beschäftigen.

Worum es Stolle primär geht, ist die Kommunikationspolitik der Konzerne, die mangelnde oder sogar falsche Information der Öffentlichkeit. Mit ihrer Kunst will sie die Marketingbotschaften, die Greenwashing-Strategien auseinandernehmen, ökonomisch-ökologische Täuschmanöver enttarnen, Narrative entschleiern und neue, ehrlichere stricken. Entsprechend widmet sie sich vorrangig Verpackungen, Slogans, TV-Spots, Werbeanzeigen.

Wie sie das tut, wird am deutlichsten an einer Serie mit dem bezeichnenden Titel „No Risk To Public Health“ (2019). Stolle benutzte dafür eine ganzseitige Anzeige, die Bayer am 4. Juni 2019 in der New York Times schaltete, mit ebendiesem Inhalt. „There’s no risk to public health from the application of glyphosate“, heißt es darin, Alexandra Dunn von der US-Umweltschutzbehörde EPA zitierend. Der Anzeigentext endet mit einem Hinweis auf die Internetseite von Bayer zu den Vorzügen von sowie zu Wissenschaft und Sicherheit in Bezug auf glyphosathaltige Produkte wie Roundup. Neben das Original hat Stolle unterschiedliche Interventionen gehängt. Auf einem von ihnen hat die Künstlerin mit rotem Stift Anmerkungen angefügt, in denen sie mit eigenen Recherchen die Aussagen zerpflückt. Auf einem anderen prangt ein orangerotes Banner als Hinweis auf das Entlaubungsmittel Agent Orange, seinerzeit ebenfalls von Monsanto produziert. Auf einem weiteren hat Stolle alle Wörter auseinandergeschnitten und zu einer Wolke vor Bayer-blauem Hintergrund zusammengeklebt.

Die Bildsprache des Corporate Design zitierend, schlägt Stolles Kunst die Konzerne mit ihren eigenen Waffen

Sieben Projekte sind in der neuen Ausstellung der US-amerikanischen Künstlerin zu sehen. Es ist ihre zweite Einzelausstellung in der Kreuzberger Galerie.

„Pesticide Pop“, die titelgebende Serie, besteht aus zehn farbigen und glitzernden Drucken, auf denen Stolle die Giftbomben wie lustig bunte Pop Art inszeniert hat. „Dinner is ready“ ist eine Reihe von Lichtboxen, mit denen die Künstlerin einen Werbespot Monsantos aus dem Jahr 2014 dechiffriert. Visuell am interessantesten ist aber eine Serie, in der Stolle Aktienzertifikate verarbeitet, den Druck abrubbelt und grafische Symbole darüber collagiert: Monsanto im Fadenkreuz, IG Farben hinter Gittern.

„Kunst kann andere Perspektiven bieten“, sagt Stolle, und könne so etwas dem Diskurs beifügen. Gut informierten Besucher:innen wird die Ausstellung möglicherweise nicht unbedingt neue Erkenntnisse verschaffen, Impulse für weitergehende Recherchen und Gespräche aber durchaus. Stolle schafft das vor allem mit äußerlichen Reizen, indem sie die Bildsprache der Werbung und des Corporate Designs aufgreift, so die komplexen Sachverhalte zugänglich macht, an Oberflächen kratzt. In ihrer Kunst schlägt Stolle die Konzerne quasi mit ihren eigenen Waffen.

Bis 11. April, Nome, Glogauer Str. 17, Di.–Sa. 14–18 Uhr

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