Wenn der Frosch zum Mond hüpft

Doc Schoko, begnadeter Außenseiter und musikalischer Radikalindividualist, mit einem neuen Album: „Große Straße“

Genauso ungewöhnlich wie die Orte, an denen der Berliner Musiker Doc Schoko sein neues Album „Große Straße“ vorstellt, ist die Vielzahl der Konzerte, die er allein am morgigen Samstag spielt: Um 15 Uhr bei Vopo Records, um 17 Uhr bei Core Tex, beides Plattenläden, der eine spezialisiert auf Oi, Ska und Punk, der andere auf Hardcore, Grunge und Neo-Punk. Um 21 Uhr geht’s im Enzian weiter, um 1 Uhr nachts im 8mm, beides Bars, die eine für Mittvierziger-Schluffis aus Kreuzberg, die andere für Mittzwanziger-Schluffis aus Prenzlauer Berg. Dass am Sonntag der Flohmarkt am Mauerpark einziger Venue ist, beruhigt: Auch Doc Schoko ist aus Fleisch und Blut, auch er kann nicht ununterbrochen auftreten.

Was zuerst ungewöhnlich erscheint – Plattenläden, Szenebars und Flohmärkte als Orte für eine Record-Release-Party zu wählen –, gehört für Doc Schoko zum Alltag, so oder so. Diese Orte repräsentieren seine Lebenswelten, hier kann er eins sein mit sich, dem Leben, der Musik. Zumal er jemand ist, der höhere musikalische Weihen, das Popbusiness, das Musikfernsehen, eher obskur findet und sich dafür schon gar nicht verbiegt. Doc Schoko, der niemandem verrät, wie er wirklich heißt, arbeitet da doch lieber im Verborgenen und Abseitigen, weil er dort machen kann, was er will. Einst etwa in der Galerie berlintokyo, wo er die Single „Komm an den Ofen“ mit auf den Weg brachte, bei Falko Hennigs „Radio Hochsee-Shows“ oder als Mitveranstalter einer Gala zu Elvis’ Siebzigstem im Festsaal Kreuzberg. Doc Schoko ist Radikalindividualist und passionierter Außenseiter. „Doc Schoko auf freiem Fuß“ hieß mal eine Single von ihm, und sein Traum war es immer, ein Leben mit der Musik und für die Musik zu führen. Aber große Hallen damit zu füllen? – das wären der Zugeständnisse doch zu viel.

Eher ungewöhnlich für diesen grundgesunden Freiheitsdrang ist dagegen, dass Doc Schoko nach einem Vinyl-only-Album und einer Vinyl-only-EP im Eigenvertrieb sich jetzt unter die Fittiche eines Labels begeben hat: Patrick Wagners Louisville Records. „Große Straße“ ist ein regelgerechtes, auf CD erhältliches, von einer Band eingespieltes und ordentlich abgemischtes Album, und mit diesem beweist Doc Schoko einmal mehr, was für ein begnadeter Allrounder er ist. Problemlos pendelt er zwischen Wohnzimmerpop und Diskursrock, zwischen Garagenbeat und Lo-Fidelity-Folk, zwischen Hamburg, Jena und Rüdesheim. Dabei tut er mal so, als sei er ein großer Bruder des widerborstigen Kristof Schreuf von der Kollossalen Jugend und Brüllen: Die Verzweiflung muss raus, laut und kreischig. Dann wirkt er wieder wie der kleine Bruder von Calvin Johnson von Beat Happening: Cool mit den Misshelligkeiten des Lebens umgehen und das mit einer tiefen, kehligen Röhre. Meist ist Doc Schoko aber ganz er selbst, einer, der gegen Deutschlanddepressionen die Puppen tanzen lässt und über Raufläuse genauso Treffliches zu berichten weiß wie über Essighäuser (sic!) und Schokolade.

Nur einmal, da holen der Zweifel und die Depression auch ihn so richtig ein, da versucht er Akkorde der Ohnmacht zu spielen und stellt eine wirklich große Frage: „Wann fängt mein Leben endlich an, wo ist das Leben, das ich kann, wer stoppt die Macht, die uns erdrückt, wer hält die Qual, die uns erstickt?“ Das ist ein nachdenklicher und herzzerreißender Smoother, gleichzeitig dramaturgischer Höhepunkt wie auch der schönste Song von „Große Straße“. Nur passt er nicht so richtig, ist Doc Schoko viel überzeugender, wenn er sich als Frosch ausgibt, der zum Mond hüpft: „Unten stinkt es so doll, ich habe die Schnauze voll.“ Um es anders zu sagen: Doc Schoko ist ein Frosch mit Forschungsauftrag, für sich, für uns alle, für ein besseres Leben, irgendwo zwischen Enzian und 8mm-Bar. GERRIT BARTELS

Doc Schoko: „Große Straße“ (Louisville/Universal), ab Montag im Laden