die woche in berlin
: die woche in berlin

Völlig überraschend verkündet Jürgen Klinsmann via Facebook seinen Rücktritt vom Trainerjob bei Hertha BSC. Die hiesige CDU kämpft derweil mit den Folgen der Rücktritte in Thüringen und im Konrad-Adenauer-Haus. Die Pflegesenatorin blickt lieber nach vorn und präsentiert eine sinnvolle Idee, wie Pflegende finanziell gestärkt werden können

Dringend nötige Unterstützung für Pflegende

Gesundheitssenatorin Kalayci stellt Bundesratsinitiative vor

Der Berliner Senat hat am Dienstag auf Vorlage von Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) beschlossen, eine Initiative für ein „Familienpflegegeld“ in den Bundesrat einzubringen. Dieses Pflegegeld soll „analog zum Elterngeld“ eine Lohnersatzleistung in Höhe von 65 Prozent des entgangenen Nettogehalts sein für Angehörige, die einen Kranken pflegen und deswegen ihre Arbeit befristet aufgeben oder einschränken, heißt es in einer Mitteilung des Senats.

Es ist gut und überfällig, dass mit diesem Vorstoß die oft schwierige finan­ziel­le Situation von Angehörigen Pflegebedürftiger aufgegriffen wird – auch wenn sich der Vorstoß wohl kaum durchsetzen lässt. Denn die neue Leistung wäre teuer und müsste aus Mitteln des Bundeshaushalts bezahlt werden. Mit einer Milliarde Euro Kosten jährlich rechnet Kalayci nach eigener Aussage.

2,9 Millionen Pflegebedürftige werden in Deutschland zu Hause versorgt, zumeist von Angehörigen. Etwas mehr als die Hälfte dieser Pflegepersonen sind Frauen, davon sind jeweils die Hälfte Ehefrauen, die ihre Männer pflegen, oder Töchter, die sich um ein Elternteil kümmern, berichtet der „Pflegereport“ der Barmer Ersatzkasse. Nur ein Drittel der Pflegepersonen sind berufstätig, jedeR Vierte hat wegen der Pflege die Arbeit aufgegeben oder reduziert.

Berufstätige Pflegepersonen sollen mit dem „Familienpflegegeld“ nun das Recht bekommen, vom Arbeitgeber bis zu drei Jahre freigestellt zu werden. „Die Freistellung kann bis zu sechs Monate vollständig gewährt werden“, heißt es in der Mitteilung. Das hieße, das volle Familienpflegegeld würde dann auch nur in diesem Zeitraum gezahlt. Inwieweit auch pflegende RentnerInnen das „Familienpflegegeld“ bekämen, dazu äußerte sich der Berliner Senat am Freitag nicht. Nach der Regelung zum Elterngeld erhalten RentnerInnen einen Mindestsatz von 300 Euro im Monat. Bei Haushalten im Hartz-IV-Bezug wird das Elterngeld von Hartz-IV abgezogen. Gelte eine ähnliche Regelung auch für das Familienpflegegeld, hätten diese Haushalte dann nichts von der Leistung.

Wichtig: Das Familienpflegegeld soll nicht mit den schon existierenden Leistungen der Pflegeversicherung verrechnet werden. Das bedeutet, das bisherige „Pflegegeld“ aus der Versicherung oder die „Sachleistungen“ für ambulante Dienste würden nach wie vor gezahlt.

Das Familienpflegegeld könnte neue Optionen eröffnen, wenn der Vater oder die Mutter pflegebedürftig werden und die berufstätige Tochter oder der Sohn vor der Frage stehen, ob sie sich eine begrenzte Auszeit für die Pflege leisten können oder nicht. Die gesamte Pflegedauer dürfte damit in vielen Fällen zwar nicht abgedeckt werden: Sie liegt im Schnitt bei 4,4 Jahren. Irgendwann steht dann wohl doch ein Umzug ins Heim an. Aber jeder Aufschub ist gut. Die Initiative verdient eine breite politische Diskussion.

Barbara Dribbusch

Lasst sie ruhig nach rechts rücken

Nach Thüringen und AKK: Berlins CDU orientiert sich

Quo vadis, CDU? Man kann jetzt viel diskutieren, ob sich seine innere Gesinnung Bahn brach, als Burkard Dregger die Thüringer Vorgänge um die Wahl eines FDPlers mit den Stimmen der AfD zum Kurzzeitministerpräsidenten als „eine demokratische Entscheidung, die nicht zu kritisieren ist“, einordnete. Oder ob der CDU-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus vorige Woche nur völlig neben sich stand und einen Aussetzer hatte – was auch nicht sonderlich für ihn spräche.

Man kann auch einen Rechtsruck darin sehen, dass CDU-Landeschef Kai Wegner an diesem Donnerstag nicht den eher liberalen Armin Laschet, sondern Friedrich Merz als künftigen CDU-Bundesvorsitzenden unterstützte.

Man kann das aber auch lassen und entspannt bleiben. Nicht aus Frust oder Desinteresse, sondern weil – wie es ein anderer CDU-Chef mal ausdrückte – „entscheidend ist, was hinten rauskommt“. Und da muss man einfach sagen: Auf Landesebene hat das alles wenig Auswirkungen. Einfacher formuliert: Ob die CDU in bisheriger Form oder künftig konservativer ausgerichtet in Berlin nicht mitregiert, ist im Ergebnis komplett egal.

Da mag Landeschef Wegner seit Jahren die Grünen umgarnen und sogar bereit sein, sich ihnen als Juniorpartner anzudienen. Aber es gab schon bisher nichts, was auch nur annähernd darauf hinweisen könnte, dass die Grünen künftig nicht mehr mit SPD und Linkspartei, sondern mit den Christdemokraten zusammenarbeiten wollen.

Natürlich gibt es immer wieder Zoff in der rot-rot-grünen Koalition. Natürlich freuen sich die Grünen nicht, wenn die SPD immer wieder gegen sie koffert, wie jüngst bei der Fraktionsklausur in Nürnberg. Aber allem, auch öffentlich ausgetragenem Streit zum Trotz hat die Koalition in Umfragen ihren Vorsprung sogar ausgebaut: Knapp über 52 Prozent der Stimmen bekamen die drei Bündnispartner bei der Abgeordnetenhauswahl 2016, aktuell sind es 57 Prozent.

Einziger Unterschied: Stärkste Partei sind nicht wie damals die Sozialdemokraten, sondern mit großem Vorsprung die Grünen. Sie würden bei Neuwahlen die Führung im Senat beanspruchen können – und bislang ist nicht zu hören, dass SPD und Linkspartei bei einer solchen Gewichtung keine Lust mehr auf Rot-Rot-Grün hätten.

Insofern: So traurig ein Abdriften der CDU nach rechts wäre – zumindest auf Berliner Landesebene hätte es schlicht keine Folgen für konkretes Regierungshandeln und damit auch keine für die bald 4 Millionen Berliner.

Stefan Alberti

Der nächste Erlöser wird gesucht

Jürgen Klinsmann tritt nach 76 Tagen als Hertha-Trainer zurück

Am Gesundbrunnen landet ein Hubschrauber, aus dem ein gut gelaunter Jürgen Klinsmann in hellblauem Poloshirt steigt. Er trägt eine Sonnenbrille, damit er den grauen Betonblock rund um die Stelle, die einst Plumpe genannt wurde, nicht in seiner ganzen Schroffheit ertragen muss. Das einstige Stadion an der Grenze zum Wedding war die erste Spielstätte Hertha BSCs und, mit Unterbrechung, Heimat bis zum Umzug ins Olympiastadion. Eine Delegation des Vereins zeigt dem 55-Jährigen das Areal, das heute nicht mal mehr im Ansatz an die glorreichen Zeiten erinnert. Aus dem „Bierbrunnen“ gegenüber starren sie verständnislos.

Das ist so nie passiert, und so wird es auch nie passieren – das ist seit Dienstag klar.

Am Dienstag hat Jürgen Klinsmann nach nur 76 Tagen den Posten des Cheftrainers bei Hertha BSC aufgegeben. Auf dem eigenen Facebook-Kanal verkündete er seine Entscheidung, bevor sich der Verein dazu äußern konnte. Der Klub reagierte deutlich: Seit Donnerstag ist bekannt, dass Klinsmann seinen Sitz im Aufsichtsrat ebenfalls verliert und somit keine Verbindungen mehr zum Verein bleiben.

Ende November, zu Kliensmanns Amtsantritt, hatten sie im Zuge der Liebeschwüre an Stadt und Verein noch keine Idee, wie kurz dieses Abenteuer würde. Dabei hat es Ideen und Umstrukturierungen gehagelt, die so fantastisch klangen, als hätte man sie im Labor entwickelt. Kommuniziert wurde in nebulösem Marketingsprech. Und wären Investor Lars Windhorst („der Lars“) und der neue Cheftrainer selbst nicht so euphorisch dahergekommen, hätte man damals schon ahnen können, dass Berlin für eine 180-Grad-Drehung nicht den Nährboden gibt. Nicht als Stadt, nicht als Verein.

Vor wenigen Jahren war es Fans schon einmal unangenehm aufgestoßen, als man eine Werbeagentur beauftragte, das Image der Hertha zu modernisieren. Als „ältestes Start-up Berlins“ bewarb man fortan die alte Dame. Fans und Verein versöhnten sich mit dem dankbaren Slogan: In Berlin kannst du alles sein.

Dass dies nur bedingt auf Vereins- und Arbeitsstruktur von Hertha BSC zutrifft, hat Jürgen Klinsmann recht früh spüren müssen. Die großen Ideen waren zu weit weg von Team, zu weit weg von der bodenständigen Hauptstadt, die ihre eigenen Gesetze schreibt.

Eine letzte Runde über den Gendarmenmarkt, dann fliegt Jürgen Klinsmann wieder in den weichen Schoß Kaliforniens. Zu Frau und Heim. Vielleicht hat Berlin diesen Mann schlicht nicht verdient.

Doch im „Bierbrunnen“ weint niemand dem 55-Jährigen hinterher. Hier spricht man von früher, nicht von der Zukunft. An den mit Vereinsbildern tapezierten Wänden des Lokals malt sich die Geschichte der Hertha rund durch die Räumlichkeiten.

Auf einem dieser Bilder ist Niko Kovač abgebildet, Berliner und ehemaliger Hertha-Spieler. Im Wedding geboren, spielte er noch zu Zweitligazeiten für die Berliner und trainierte zuletzt erfolgreich Bayern München. Am Gesundbrunnen wäre man erfreut über seine Rückkehr.

Jenni Wulfhekel

leibesübungen

Die großen Ideen waren zu weit weg vom Hertha-Team, zu weit weg von der boden­ständigen Hauptstadt, die ihre eigenen Gesetze schreibt

Jenni Wulfhekel über das Ende der kurzen Ära Klinsmann bei Hertha BSC