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Echte Lebensretter oder getarnte Datenkraken?

Rauchmelder, heißt es, retten Leben. Belastbare Zahlen gibt es dafür allerdings nicht. Und der Branderkennung dienten ihre Sensoren ohnehin nur am Rande, sagen zumindest Datenschützer. Besonders Modelle mit Funkmodul lösen Skepsis aus. In Hamburg wehrt sich eine Mieter*innen-Initiative gegen die Funkrauchmelder

Vielleicht wäre das mit Rauchmeldern nicht passiert, – mit besserem Brandschutz aber vielleicht auch nicht Foto: Thomas Frey/dpa

Von Harff-Peter Schönherr

Sie sind überall. Die meisten von ihnen sind handtellergroß, rund und aus weißem Hartplastik. Sie hängen im Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer, im Keller, im Hauswirtschaftsraum, im Flur. Manchmal blinkt in ihnen ein rotes Lämpchen. Manchmal geben sie leise Pieptöne von sich. Angeblich wachen sie über unser Leben: Rauchmelder.

Es gibt sie als Stand-alone-Modell und vernetzt, es gibt sie mit Funkmodul und externem Datenspeicher, es gibt sie als Smart-Home-Variante, gekoppelt an eine Handy-App. Infrarot und Laser sind in ihnen am Werk, Wärme-, Luftfeuchtigkeits-, Ultraschall- und Helligkeitssensoren, Mikrofone und Kameras.

Lösen sie Alarm aus, wird es brutal. Die leisen kommen auf 85 dB(A) und machen jeder Motorsäge Konkurrenz. Die lauten erreichen 110 und stellen Presslufthämmer in den Schatten. Wer will, kann das noch mit Stroboskopblitzen aufpimpen, mit Vibrationssignalen oder Tieftonsirenen.

In allen Bundesländern sind Rauchmelder für Neubauten Pflicht, in den meisten auch für Bestandsbauten – außer in Berlin und Brandenburg, die warten damit noch bis Ende 2020. Das hat mit Lebensrettung zu tun, vor allem aber mit Lobby­ismus. Hinter der Kampagne „Rauchmelder retten Leben“, initiiert durch das „Forum Brandrauch­prävention“, stehen Profiteure von der Versicherungswirtschaft bis zur Elektrotechnik- und Elektronikindus­trie, vom Schornsteinfegerhandwerk bis zur Feuerwehr.

Seit dem Jahr 2000, seit „Beginn der Aufklärungsarbeit“, habe sich die Zahl der Brandopfer halbiert, behaup­tet die Kampagne. Fakt ist allerdings: Wer die Gesamtzahl der Toten von 2000 und 2016 vergleicht (jüngere Zahlen hat der Deutsche Feuerwehrverband vom Statistischen Bundesamt noch nicht) kommt auf 475 zu 348, davon in Privatwohnungen 397 zu 277. Mehr noch: Ob das Sinken der Totenzahlen mit dem Einsatz der Rauchmelder zusammenhängt, weiß niemand. Außerdem sank die Gesamtzahl der Brandtoten auch schon vor der Zeit der Rauchmelder: 1980 waren es noch fast 800.

Dass die gesunkene Zahl mehrere Gründe haben kann, räumt, auf Anfrage der taz, auch Silvia Darmstädter ein, Sprecherin des Deutschen Feuerwehrverbandes Berlin: Auch „an der flächendeckenden Verbreitung von Brandschutzerziehung und -aufklärung“ könne das liegen, ferner „an verän­der­ten Wohnverhältnissen“. Letztlich gehe es um die Frage, „ob eine Rauchmelderpflicht in einem vernünftigen und effektiven Verhältnis steht zum dadurch zu erreichenden Schutzziel, nämlich Menschenleben zu retten“.

Und, ist das gegeben? Hilfreich ist hier ein Vergleich der Zahl der Brände mit der Zahl der Fehlalarme. Im Jahr 2000 gab es bei 197.154 Bränden 192.447 Fehlalarme. 2017 (jüngere Zahlen hat das Statistische Bundesamt noch nicht) waren es bei 203.419 Bränden 234.012 Fehlalarme. Zufall? Je mehr Rauchmelder, desto mehr Fehlalarme? Darmstädter: „Uns liegen hierzu keine statistischen Daten vor.“

Und das ist nicht das einzige Problem: Viele Mieter führen Beschwerde gegen die Geräte.Carsten Wanzelius, Geschäftsführer des „Mietervereins für Osnabrück und Umgebung“, zudem im Vorstand des Deutschen Mieterbundes Niedersachsen-Bremen: „Fast in jedem Beratungsgespräch thematisieren unsere Mitglieder Rauchmelder als Problem.“ Aber die Gründe haben sich gewandelt. „Früher hatten viele Datenschutzbedenken“, sagt Wanzelius. „Wegen der Sensoren, wegen ihrer Privatsphäre. Heute geht es eher um die Kosten. Darum, dass viele Eigentümer versuchen, sie auf die Mieter umzulegen, was nicht geht. Fast in jeder Betriebskostenabrechnung finden wir solche Fehler. Das wird dann oft im Heizkostenanteil versteckt.“

Bei der Hamburger Wohnungsbaugenossenschaft Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba), 6.800 Wohnungen und 16.500 Mitglieder groß, gehen Mieter*innen dagegen gerade aus Datenschutzgründen auf die Barrikaden. In allen Wohnanlagen tauscht die Altoba die alten Rauchmelder gegen neue, fernprüfbare aus.

Über 300 Unterschriften sammelte eine „Mieter*­inn­en­initiative“ dagegen, organisiert über die Hamburger Plattform „annaelbe“, die sich „für Mitsprache bei dem Einbau digitaler Technik“ einsetzt. Eine Informationsveranstaltung sollte die Wogen glätten, Mitte 2019. Aber das gelang nur bedingt. „Ich fühle mich in meiner Wohnung überhaupt nicht mehr wohl“, zitiert das Protokoll einen Mieter. Allerdings waren von den 16.500 Mieter*innen nur 51 gekommen. „Für einen Großteil ist das Thema völlig unpro­blematisch“, sagt Silke Kok, Leiterin des Bereichs Kommunikation und Soziales bei der Altoba. „Aber für manche ist es offenbar stark emotional aufgeladen. Damit hatten wir nicht gerechnet.“

Ein Gutachten zu „Datenschutz und Manipulierbarkeit“, von der Altoba in Auftrag gegeben und Anfang Februar vorgestellt, sahen die „annaelbe“-Aktivist*innen „mit erheblichen einschränkenden Vorbehalten behaftet“ und formulierten ihre Skepsis gegenüber diesem Reverse Engineering, erfolgt ohne Hersteller-Details zu Hard- und Software, folgendermaßen: „Aus technischen Gründen nicht erlangte Erkenntnisse über bestimmte Fähigkeiten eines Gerätes können deren Abwesenheit nicht belegen.“

„Die Geräte sind nicht vernetzt, nicht Smart-Home-fähig“, verteidigt Kok. „Dass sie Funkmodule in sich tragen, hat nur mit der Fernprüfung ihrer Funktionstüchtigkeit zu tun. So müssen wir dazu nicht in die Wohnungen.“ Die Melder seien „wichtig für die Sicherheit aller“.

Aber geht es bei Rauchmeldern überhaupt primär um Brandschutz? Volker Lüdemann, Jurist und wissenschaftlicher Leiter des Niedersächsischen Datenschutzzentrums (NDZ) an der Hochschule Osnabrück, spezialisiert auf Fragen der Digitalisierung, verneint: „Darum geht es da am allerwenigsten! In erster Linie ist das ein industriegetriebenes Geschäftsmodell, und so was lässt sich natürlich immer gut übers Thema Sicherheit verkaufen. Klar, es ist nett, sollten Rauchmelder diesen Zusatz­nut­zen haben. Aber im Grunde sind ihre Sensoren, wie die unserer Smartphones und Activity Tracker auch, Teil einer immer weltumspannenderen, allumfassenderen Daten-Infrastruktur, errichtet im Dienst einer radikal neuen Gesundheitsversorgung, betrieben von Digitalkonzernen wie Google und Apple.“

„Nehmen wir den Wärmesensor: Gesetzt, ich komme jeden Tag um 17 Uhr nach Hause und lüfte, registriert er das. Wer diese Daten ausliest, kann Schlüsse ziehen“

Arno Ruckelshausen, Sensorik-Experte an der Uni Osnabrück

Hat deshalb Google für über drei Milliarden US-Dollar den Thermostat- und Rauchmelderhersteller Nest Labs gekauft? „Warum sonst?“, sagt Lüdemann. „Am Ende wird das Kliniken einbinden, Versicherungen, Krankenkassen, Ärzte, Apotheken, Pharmaindustrie. Alles vernetzt.“

Ist der Rauchmelder also doch ein Lebensretter, irgendwann? „Auf jeden Fall geht es da nicht um die Ausspähung des Individuums“, sagt Lüdemann. „Das zielt auf die Erhebung von Metadaten. Gesetzt, ich bekomme möglichst viele Daten über die Biologie möglichst vieler Menschen, vermesse sie über möglichst lange Zeiträume, kann ich, indem ich alles matche, womöglich Krankheiten besser verstehen, ihre Entstehung frühzeitig verhindern. Das spart Kosten. Und das wiederum demokratisiert das System vielleicht sogar.“

Eine reine Zukunftsvision ist das nicht. „Das läuft schon“, sagt Lüdemann, „volle Kraft. Natürlich hat das auch große Nachteile. Ein solches System kann ja missbraucht werden. Und da es allumfassend ist, zwingt es uns zu konformem Verhalten.“

Auch Arno Ruckelshausen, Fakultät Ingenieurwissenschaften und Informatik der Hochschule Osnabrück, Experte für Sensorik, nimmt die Gesamtheit der Informationen in den Blick, die das Smart Home generiert, das „Internet of Things“. Es gebe, sagt er, in der digitalen Haustechnik „eine Reihe von Informationen, die Nutzen und Risiken im Falle der Fremdnutzung haben“. Wer beispielsweise die Öffnungszeiten von Türen und Fenstern kenne oder die Betriebszeiten von Heizungen, könne allein daraus schon viel ableiten. Für Rauchmelder allerdings seien seine Datenschutzbedenken, zumal angesichts ihres Nutzens für den Brandschutz, „in Relation gering“.

Aber Gefahren sieht er schon: „Nehmen wir allein den Wärmesensor: Gesetzt, ich komme jeden Tag um 17 Uhr nach Hause und lüfte, registriert er das natürlich. Wer diese Daten ausliest, vielleicht über mehrere Tage und Wochen, kann natürlich Schlüsse ziehen auf mein Verhalten, erkennt Strukturen. Wer die Annäherungs­sensoren ausliest, Raum für Raum, weiß genau, wo ich mich wann und wie lange aufhalte.“

Die Chance, die Montage eines Funk-Rauchmelders abzulehnen, hat ein Mieter übrigens nicht. Das hat des Bundesverfassungsgericht entschieden.