„Selbst diejenigen, die nicht betroffen waren, haben Angst“

Seit Jahresbeginn wurden Abgeordneten- und Fraktionsbüros von Linken, Grünen und FDP zum Teil mehrfach von rechts bedroht. Der Präsident der Bürgerschaft verurteilt die Taten

Wegen Postsendungen mit weißem Pulver an Bremer Parteienbüros häufen sich Gefahrguteinsätze: Das kostet. Und die Verunsicherung schadet der Demokratie Foto: Symbolfoto: Daniel Bockwoldt/dpa

Interview Eiken Bruhn

taz: Herr Imhoff, spätestens als die FDP-Fraktion einen dieser rechtsextremistischen Drohbriefe bekommen hat, habe ich mich gefragt, wann sich die Bürgerschaft mal dazu äußert.

Frank Imhoff: Drohbriefe mit irgendeiner Substanz zu verschicken, ist ein Unding. Man darf nicht politische Akteure dieser Stadt bedrohen. Selbst wenn da nichts Gefährliches drin war: Das geht gar nicht.

Warum haben Sie das nicht schon früher gesagt? Zum Beispiel auf der Landtagssitzung am Tag danach.

Das war ja nicht der erste Vorfall dieser Art. Wir müssen deshalb immer abwägen: „Schicken wir jedes Mal ein Statement heraus, das solche Taten verurteilt?“ Aber Sie haben recht. Vielleicht hätten wir das wirklich machen sollen.

Haben Sie mit Abgeordneten darüber gesprochen?

Ja, natürlich. Selbst diejenigen, die nicht betroffen waren, aus meiner Fraktion oder aus der SPD, haben Angst, dass sie die nächsten sind. Da ist viel Verunsicherung zu spüren. Wenn abends die Nachricht kommt, „vor dem und dem Parteibüro ist der Staatsschutz, passt auf“ – das ist unerträglich in einer Demokratie.

Haben Sie diese Drohbriefe auf sich bezogen, als Politiker in dieser Stadt?

Die meisten haben das, glaube ich. Das ist nicht nur ein Anschlag auf eine Partei, sondern auf Politik.

Es gab auch Brandanschläge auf Polizeiwachen, mutmaßlich von Linksextremisten. In einem Radio-Bremen-Interview hat Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) gesagt, die Drohbriefe seien „nicht schön, aber die objektive Bedrohung geht von den Brandanschlägen aus“.

Ich würde nicht das eine gegen das andere ausspielen. Wir haben doch die Gesamtlage, dass immer mehr Tabus gebrochen werden, der Respekt verloren geht. Es ist immer weniger akzeptiert, dass jemand anderes eine andere Meinung hat, da gibt es nur noch gut oder böse. Man muss ganz klar sagen: „Stopp, da überschreitet ihr eine Grenze.“ Das erwarte ich auch von unseren Abgeordneten.

Was meinen Sie?

Nach der Thüringen-Wahl hat jemand auf dem Twitter-Account einer Abgeordneten geschrieben, man hätte der FDP Steine ins Fenster werfen müssen, anstatt sie nur zu bekleben. Da erwarte ich, dass man sich klar gegen solche Gewaltaufrufe positioniert.

Haben Sie mit ihr darüber gesprochen?

Ich habe das heute erst gesehen, aber das mache ich noch. Es gab auch Gewaltandrohungen gegen FDP-Mitarbeiterinnen, die auf offener Straße bespuckt und aufs Widerwärtigste und auf frauenfeindliche Weise beschimpft wurden. Da spielt es keine Rolle, ob die Beleidigungen von links oder rechts oder aus der Mitte der Gesellschaft kommen.

Sie haben sich in Ihrer Neujahrsansprache zu diesen Themen geäußert. Es gab großen Applaus der Abgeordneten, als Sie die Beschimpfungen der ehemaligen Agrarministerin Renate Künast verurteilt haben. Und einmal, als Sie gesagt haben, es sei falsch, dass die Veranstaltung mit Thilo Sarrazin abgesagt wurde, weil gewalttätige Proteste befürchtet wurden. Aber das, was Sarrazin sagt, ist Rassismus – und keine freie Meinungsäußerung mehr.

Ja, Sarrazin reitet auf einem schmalen Grat.

Meistens fällt er runter.

Meine Meinung vertritt er überhaupt nicht, im Gegenteil. Aber das muss der Verfassungsschutz beurteilen, ob er eine rechtsstaatliche Grenze überschreitet. Dann kann man ihm auch ein Auftrittsverbot erteilen. Ich habe aber nicht gehört, dass er gesagt hat: „Zündet die Häuser von Migranten an.“

Sie haben in Ihrer Rede vor Brandbeschleunigern gewarnt. Sarrazin ist genau das.

Aber das kann doch nicht dazu führen, dass man sich der Auseinandersetzung nicht mehr stellt. Da muss man dagegen halten.

Aber welchen Sinn hat es, mit Rassisten zu diskutieren?

Also ich habe mit Sarrazin keine Veranstaltung geplant. Aber man kann sagen, dass man nicht mit dem einverstanden ist, was er sagt. Ich war auch nicht damit einverstanden, dass ein Gericht entschieden hat, dass man Renate Künast so beleidigen darf. Aber das wurde als freie Meinungsäußerung bewertet und die ist ein hohes Gut.

In den USA ist sie ein noch höheres Gut, dort darf man auch den Holocaust leugnen. Die Frage ist doch, ob man solchen Positionen eine Bühne geben muss.

Foto: Bahlo/dpa

Frank Imhoff, 51, seit 1999 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft (CDU) und seit Juli ihr Präsident.

Ein Herr Höcke, ein Faschist, mit dem ich nichts gemeinsam habe, darf seine Thesen auch verbreiten. Es liegt doch an uns zu sagen: „Das ist menschenverachtend, wir wollen das nicht.“ Das Entscheidende ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich dagegen stellt.

Aber wenn ein Viertel oder mehr das genau richtig findet?

Dann ist es auch unsere Aufgabe, mit guten Argumenten dagegen zu gehen. Ich glaube an den Menschen, der zuhört, den man mit einer sachlichen Diskussion erreichen kann.

Zurück zu den Drohbriefen. Sind die nicht sogar bedrohlicher als die Brandanschläge, weil sie sich gegen Menschen und nicht Institutionen richten?

Das ist schon ein Unterschied, ja. Es gibt derzeit eine Umfrage von Radio Bremen unter allen Abgeordneten zum Thema Hass. Einige diskutieren darüber, ob sie ihre Angst überhaupt artikulieren, weil sie dadurch sichtbar und noch angreifbarer werden.

Was sagen Sie denen?

Ich empfehle, das öffentlich zu machen und auch alles anzuzeigen. Die Zeit des Schweigens ist vorbei. In den letzten drei bis fünf Jahren hat das extrem zugenommen. Da kommt ein Abgeordneter zu mir, dem ich versprochen habe, seinen Namen nicht zu nennen, der bekommt einen Drohbrief nach Hause: „Wir wissen, wo du wohnst, wo deine Familie sitzt.“ Was glauben Sie, was der für Angst hat. Der überdenkt doch jetzt alles, was er öffentlich sagt. Politiker haben solche Vorfälle zu oft verschwiegen, um denen keine Öffentlichkeit zu geben.

Aber was bringt es, das öffentlich zu machen?

Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens, der so etwas verurteilt. Dass sich niemand mehr in der Hinterstube einer Kneipe damit brüsten kann, weil Menschen aufstehen und sagen: „Das ist nicht in Ordnung.“