: „Aber ist Euch auch wohl, Vater?“
Friedrich Schiller war erst 22 Jahre alt, als er mit „Die Räuber“ seinen Durchbruch hatte. In den Kammerspielen des Deutschen Theaters bringt das Junge DT nun eine zeitgemäße „Überschreibung“ des stürmend-drängenden Erstlingswerks zur Aufführung
Von René Hamann
Mit dem Kölner Karneval haben Schillers „Räuber“ nichts zu tun. Es gibt zwar eine Schunkelgruppe, die „De Räuber“ heißen, und es gibt den Schlager, der „Ich ben ne Räuber“ heißt und von den Höhnern stammt und der Untreue thematisiert, die Untreue in Sachen Liebe.
Friedrich Schillers „Die Räuber“ handeln auch davon, von der Untreue, von der Lust an der Ausschweifung im Moloch von Leipzig, aber im Wesentlichen geht es um Politik, um den Kampf zweier Brüder, die sich (mehr vom Vater als der Mutter) ungleich behandelt fühlten: Der eine, Karl Moor, fühlt sich stark, geliebt, mutig, ihm fällt alles zu, Fehltritte werden ihm verziehen; der andere, Franz, steht in Konkurrenz zu seinem Bruder, fühlt sich ungeliebt, benachteiligt, und vergeht vor Neid. So beginnt das Drama: Franz fängt einen Brief des reumütigen Karl ab und macht ihn beim Vater noch schlechter. Karl ist verzweifelt und geht in den Untergrund. Er schließt sich einer Räuberbande an, die ihm auf der rechten Seite zu stehen scheint, so ein wenig Robin-Hood-mäßig.
„Hört ihr’s wohl? Habt ihr den Seufzer bemerkt? Steht er nicht da, als wollte er Feuer vom Himmel auf die Rotte Korah herunterbeten, richtet mit einem Achselzucken, verdammt mit einem christlichen Ach! Kann der Mensch denn so blind sein?“
Das Theaterstück, das schon damals metadramatische Elemente in sich trug, war des sehr jungen Schillers Durchbruch. Noch anonym geschrieben, 1782 in Mannheim aufgeführt, „machte es Sensation“, wie es auf dem Rücken der Reclam-Ausgabe so schön heißt. Schiller war damals erst 22 Jahre alt.
Es war die Zeit vor der Französischen Revolution, „Sturm und Drang“ sagen die Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer, kurz vor „Aufklärung“, noch weit von „Klassik“ entfernt. Und jetzt kehrt das Stück gewissermaßen zur Jugend zurück. Es ist ein Jugendstück, das das Junge DT am kommenden Dienstag erstmals aufführen wird. Auf der ganz großen Bühne.
Und wie von Linda Gerner bereits in der taz am letzten Wochenende geschildert, wird es eine zweite Ebene geben. Ein Stück im Stück: Die sehr jungen Schauspielenden werden zeigen, wie sie sich das ururalte Stück des sehr jungen Klassikers aneignet. Schillers Sprache ist beeindruckend, aber eben auch schon altertümlich; manche Passagen sind ohne Wörterbuch oder Erklärung nicht mehr zu verstehen.
Hier sind auch ganz andere Eckdaten mal interessant: „Die Räuber“ ist Schullektüre, wird aber gemeinhin weniger „durchgenommen“ als etwa der Klassiker „Wilhelm Tell“ oder der voluminöse, wuchtige „Wallenstein“. Die Reclam-Ausgabe im schönen Gelb kostet zwar schlappe 3 Euro, wohingegen schon die Taschenbuchausgaben aktuell relevanter Romane auch mal 11 bis 13 Euro kosten. Aber: Bei der Suchmaschine Google geben nur 40 Prozent aller Nutzenden an, dass ihnen das Stück in Buchform gefallen habe. Sehr miese Quote für einen Klassiker, sollte man meinen.
„Ob sich das Herz zum Herzen findet. Der Wahn ist kurz, die Reu’ist lang. Nur der Irrtum ist das Leben, und das Wissen ist der Tod.“
Und dass man aufhören sollte, die Kids mit diesem alten Kram zu quälen. Bruderkampf gibt es doch auch in „Die wilden Kerle“, die legalen und illegalen Grenzen von Ausschweifung in „Shame“, der Wechsel von der Politik in die Kriminalität in „Die Welle“ oder in „Boardwalk Empire“. Das sind beliebige Beispiele. (Ich wäre ohnehin dafür gewesen, den zweiten Teil von „Fack ju Göhte“ „Fack Ju Shilla“ zu nennen, aber egal.) Aber diese Abenteuergeschichten, die immer auch um die Essenzen des Lebens kreisen, mit dieser enormen Wortgewalt auf „die Bretter, die die Welt bedeuten“, gebracht: Das ist schon immer noch das, was die Klassiker ausmachen.
Ein anderes Thema wäre der Geniekult, mit dem aufzuräumen wäre. Genauso wie beispielsweise Shakespeare war auch Friedrich Schiller niemand, dem Stoffe und Ideen einfach so aus dem Himmel herab zuflogen. Er hatte Gespür, und ließ sich zu diesem klassischen Fünfakter von einer Erzählung des heute weithin unbekannten Christian Friedrich Daniel Schubart inspirieren, die „Zur Geschichte des menschlichen Herzens“ heißt und die emotionalen Dimensionen des Stoffs bereits offenbarte. Auch die Räuberpistolen rund um den historisch verbürgten Räuber Nikol List nutzte Schiller.
„Pfui über das schlappe Kastratenjahrhundert, zu nichts nütze, als die Taten der Vorzeit wiederzukäuen und die Helden des Altertums mit Kommentationen zu schinden und zu verhunzen mit Trauerspielen. Die Kraft seiner Lenden ist versiegen gegangen, und nun muss Bierhefe den Menschen fortpflanzen helfen.“
Insofern: Fack ju, Schiller, auf jeden Fall. Doch Schiller strikes back. Genau hier liegt auch die Chance fürs Junge DT: Zeigen, was man mit Schiller heutzutage noch so alles anfangen kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen