Elke Wittich
Erste Frauen
: Nahezu weltmeisterlich
dank Lücke im Regelwerk

Bis zum 13. Februar 1902 war der größte weibliche Triumph auf einer Eisfläche der einer wirklichen Königin gewesen. Queen Victoria hatte 1841 nämlich ihren geliebten Gemahl Prinz Albrecht gerettet, der beim Schlittschuhlaufen auf einem zugefrorenen Teich „bis zum Kopf“ eingebrochen war und sich nicht mehr allein befreien konnte. 1902 kam dann aber der große Auftritt der Britin Madge Syers, die auf Anhieb hinter ­Ulrich ­Salchow Vizeweltmeisterin im Eiskunstlauf wurde. Sie trat ausschließlich gegen Männer an.

Die damals 20-Jährige hatte sich die Teilnahme durch einen Fehler im Regelwerk erstritten. Die WM-Organisatoren hatten nirgendwo vermerkt, dass bloß Männer teilnehmen durften, und so konnte Syers neben dem Schweden Salchow, dem Deutschen Martin Gordan und dem Argentinier Horatio Torromé starten. Über die einzelnen Darbietungen ist nicht viel bekannt. Das lokalpatriotische Publikum fand es aber wohl einen großen Skandal, dass Syers bloß Zweite wurde. Und Weltmeister Salchow war empört, dass es keinen Preis für den zweiten Platz gab, weswegen er der Vizeweltmeisterin nach der Siegerehrung demonstrativ seine Goldmedaille überreichte.

Eiskunstlaufen wurde zu diesem Zeitpunkt als nicht für Frauen geeignet angesehen, auch wenn der Autor der ersten schriftlichen Abhandlung über die Sportart, Leutnant Robert Jones, 1772 vermerkt hatte, dass es keinen Grund gebe, „warum die Ladies von diesem Vergnügen ausgeschlossen werden sollten“. Andererseits wurde die Sportart auch nicht unbedingt als für Männer besonders gesund gehalten. Es kursierten Gerüchte, dass sie mehr Todesopfer als der Burenkrieg gefordert habe.

Madge, eigentlich Florence Madeline, störte das alles aber vermutlich wenig. Geboren am 16. September 1881 als zehntes von zwölf Kindern des Selfmade-Immobilienentwicklers Edward Jarvis Carve und seiner Frau Elizabeth Ann, hatte sie sich schon früh als sportlich erwiesen. Sie war eine gute Schwimmerin und Reiterin, und wurde später Mitglied des Prince’s Skating Clubs. Der 1896 gegründete Verein galt als besonders schick, im Gegensatz zu den meisten anderen Mädchen und Frauen, die dort Mitglied waren, wollte Madge Syers allerdings nicht bloß graziös auf dem Eis herumglitschen, sondern wirklich etwas erreichen. 1899 lernte sie den Trainer Edgar ­Syers kennenlernte, der sie über­redete, den offeneren amerikanischen Laufstil anzunehmen.

Durchaus erfolgreich, schon ein Jahr später, starteten die beiden in Paar-Wettbewerben, im Juni 1900 heirateten sie schließlich. Für Madge dürfte die Ehe ein Glücksfall gewesen sein, denn ihr Vater Edward war nicht nur pleite gegangen, sondern würde sich etwas später laut der Historikerin Elaine Hopper auch noch als Mann mit Doppelleben entpuppen. Zwischen 1896 und 1910 bekam er mit einer Frau namens Pauline Bretzfelder weitere zehn Kinder. Syers machte derweil Karriere.

1903 wurde sie britische Meisterin im Herren-Eiskunstlauf, gegen ausschließlich männliche Konkurrenz. Fünf Jahre später gewann sie den erstmals ausgetragenen olympischen Damenwettbewerb. Krankheitsbedingt musste sie den Sport aufgeben, 1917 starb sie im Alter von nur 37 Jahren an einer Herzkrankheit.