Deutsche Visa-Politik besteht die Prüfung

Die derzeitigen deutschen Visa-Regeln sind mit dem EU-Recht vereinbar, urteilte gestern die Kommission in Brüssel. Bis 2004 aber seien die Richtlinien noch zu lasch gewesen. Künftig sollte Deutschland besser ganz auf nationale Sonderwege verzichten

AUS BRÜSSEL RUTH REICHSTEIN

Die aktuelle deutsche Visa-Politik verstößt nicht gegen europäisches Recht. Das gab gestern die EU-Kommission in Brüssel bekannt. Sie hatte die deutschen Regeln auf Anfrage des CSU-Europa-Abgeordneten Joachim Wuermeling über ein Jahr lang geprüft und legte gestern ihren Bericht vor.

„An den deutschen Erlassen wird sich nichts Grundlegendes ändern, weil wir festgestellt haben, dass sie konform sind mit dem Schengener Abkommen“, sagte Friso Roscam-Abbing, der Sprecher des Innen- und Justizkommissars Franco Frattini.

Allerdings beanstandet die EU-Kommission sowohl den so genannten Volmer-Erlass von 2000 als auch Details im nachfolgenden Chrobog-Erlass. Erst mit den Änderungen 2004 seien die Verstöße beseitigt worden. „Es ist klar, dass der Volmer-Erlass gegen geltendes EU-Recht und das Schengener Abkommen verstoßen hat“, sagte der Kommissionssprecher.

Dabei geht es vor allem um einen Punkt: Im EU-Recht heißt es, dass der Antragsteller überzeugend darlegen muss, warum er ein Visum beantragt, dass er ausreichende Mittel zum Leben in der EU mitbringt und dass er die Absicht hat, wieder in sein Heimatland zurückzukehren.

Die deutschen Beamten, die dem Volmer-Erlass folgten, entschieden dagegen jahrelang in unklaren Fällen für den Antragsteller. Sie wandten also eine ähnliche Regel an wie bei Gericht: Im Zweifel für den Angeklagten. „Daraus resultierte, dass die Auslandsvertretungen der Verpflichtung, Dokumente zu verlangen (…), nicht nachgekommen sind“, heißt es dazu in der Beurteilung der Kommission.

Die Folgen dieser laxen Politik sind bis heute spürbar. Denn so sind vermutlich tausende Menschen in die EU gelangt, ohne die eigentlichen Visa-Anforderungen des Schengener Abkommens zu erfüllen.

Bei einer Legalisierungsaktion in Portugal seien zum Beispiel rund 80.000 Ukrainer aufgetaucht, die mit einem deutschen Visa in die EU eingereist waren, sagte Wuermeling. Er bezeichnete diesen Zustand gestern als „beschämend“. „Wenn die europäischen Mindeststandards von einem Mitgliedsstaat nicht eingehalten werden, steht die Glaubwürdigkeit des Schengener Abkommens auf dem Spiel“, sagte der CSU-Abgeordnete.

Wuermeling zeigte sich zufrieden mit der Antwort der Kommission und war „erleichtert“, zu lesen, dass der überarbeitete Chrobog-Erlass dem EU-Recht weitgehend entspricht.

Die EU-Kommission fordert die Bundesregierung allerdings zu einigen „redaktionellen Änderungen“ auf. „Wir stehen deshalb mit Berlin ständig in Kontakt“, sagte Sprecher Roscam-Abbing. Einige Formulierungen seien nämlich noch immer unklar. Nach den EU-Richtlinien darf zum Beispiel kein Visum vergeben werden, wenn der Antragsteller unvollständige oder gefälschte Dokumente vorlegt. Die deutschen Konsulate wenden zwar die gleiche Regel an, können aber nach dem deutschen Text Ausnahmen machen.

Damit solche Unklarheiten in Zukunft erst gar nicht mehr möglich sind, schlägt die Kommission in ihrem Antwortbrief vor, die allgemeinen europäischen Regeln in Zukunft nicht mehr mit nationalen Gesetzen zu ergänzen. „Es gibt im Prinzip keinen Spielraum für nationale Bestimmungen. Der Mehrwert ist äußerst fraglich“, heißt es in dem Text. In einigen Fällen hätten die deutschen Zusatzregeln zu Missverständnissen geführt.

Nach dem Willen der Kommission sollte in Zukunft die so genannte „gemeinsame konsularische Instruktion“ ausreichen. Diese wird zurzeit überarbeitet. Eine klarere Neufassung soll bis Anfang 2006 vorliegen.