wortwechsel
: Schwierige Diskussion

Antisemitismus und seine Auswirkungen sind das große Thema der Leser*innen. Im Deutschen Theater in Göttingen ging es um Israelkritik, und in München sagt man eine Konferenz ab. Und ist das Nazirelief wirklich gut im Museum aufgehoben?

Protestmarsch gegen Antisemitismus in Deutschland Foto: Karsten Thielker

BDS und Israelkritik

„ ‚Angebracht und möglich‘ “,

taz.de vom 18. 1. 20

Der Leiter des Deutschen Theaters in Göttingen hat sich in seiner Einleitung zur Veranstaltung eindrucksvoll zur gesellschaftlichen Aufgabe des Theaters bekannt. Doch die selbst gestellte Aufgabe, die Grenze zwischen Israelkritik und Antisemitismus zu bestimmen, blieb in der Podiumsdiskussion leider unerledigt.

Iris Hefets erklärte nachvollziehbar, warum die israelische Besatzung nicht im Namen ihrer Freunde von der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden“ geschehe. Doch alle inhaltlichen Nachfragen ließ sie unbeantwortet. So stellte der Moderator vergeblich die Frage nach der Bedeutung der drei Kernforderungen von BDS, ohne zu berücksichtigen, dass die deutsche Fassung des Aufrufs, den auch die „Jüdische Stimme“ unterzeichnet hat, sich von der ursprünglichen palästinensischen Fassung wesentlich unterscheidet und keine antiisraelische Interpretation zulässt.

Sehr zu Recht wies Jürgen Trittin auf die antisemitische Tendenz der ungarischen Kampagne gegen den jüdischen Philan­thro­pen Soros hin und bezeichnete die auch von Ungarns Regierung vertretene These vom drohenden Bevölkerungstausch als gefährlichstes Element in der europäischen Politik.

Frau Professorin Süssmuth stellte die Frage, wieso ein so intelligentes Volk wie die Israelis es nicht schaffe, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen.

Keiner der Beteiligten erläuterte, dass die ultranationalistischen Parteien in Israel keine solche Lösung wollen, weil sie das palästinensische Gebiet im Westjordanland für urjüdisch halten und nur einen Staat zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer wünschen, einen jüdischen Staat Israel. Solange diese Pläne für einen realen Bevöl­kerungs­t­ausch nicht in den Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit geraten, bleiben Friedenshoffnungen illusorisch. Nur die Palästinenser selbst vermögen den gordischen Knoten im Israel-Palästina-Konflikt zu zerhauen, indem sie einseitig den Verzicht auf militärische Gewalt erklären und gewaltlos die Sicherung ihrer Rechte in die eigenen Hände nehmen. Dadurch könnten die existenziellen Ängste israelischer Bevölkerungs­kreise ihre immobilisierende Kraft verlieren und eine international unterstützte Regelung eine Chance bekommen, die allen Beteiligten in der Region Sicherheit, Freiheit und Zukunft gewährt.

Ulrich Kusche, Göttingen

Friedenskonferenz München

„Schuld sind nur die anderen“,

taz vom 20. 1. 20

Wie wäre es, wenn man die Argumente der Organisatoren ernst nehmen würde, ohne gleich wieder eine Antisemitismus­diagnose zu stellen wegen angeblicher „Großmäuligkeit“, unterstellter Annahmen, was sie doch hätten leisten können müssen, weil man davon ausgehen könne, dass sie Marian Offman deswegen ausgeladen hätten, weil er Jude sei – was eine ungeheuerliche Unter­stellung ist. Wie wäre es denn, wenn es sich die Presse nicht so einfach machen würde, sondern der Frage nachgehen würde, warum das Diskussionsklima denn inzwischen derart vergiftet ist, dass am Schluss lieber die gesamte Konferenz abgesagt wird, nur weil die BDS-Bewegung hätte eventuell erwähnt werden können?

Manuela Kunkel, Stuttgart

Totschweigen ist Sünde

„Sauerei am Gotteshaus“,

taz vom 20. 1. 20

Das Relief soll also in ein Museum. Logisch ist das nicht, denn eigentlich müsste dann auch das gesamte Konzentrationslager Auschwitz in ein Museum gesteckt werden. Aber dafür hat man eine Notlösung gefunden: Man hat das gesamte Objekt zum Museum ernannt. Da nun unsere Kathedralen ohnehin Museen sind, ist das Ganze ein Streit für Leute, die ihre Hose mit der Beißzange zumachen.

Was in diesem Lande viel schlimmer ist, das ist nicht die Zurschaustellung von Rassismus, Nationalismus und Fremdenhass, sondern das Schweigen: Im Jahre 2010 (!) umschwärmt ein 1945 Geborener auf circa 200 Seiten liebevoll seine Heimatstadt, indem er jedes Gässchen, jeden Winkel mit seit dem Mittelalter überlieferten Anekdoten zu Menschen, Läden und Handwerken beschreibt. Nur eine Gasse lässt er aus. Die Judengasse. Dabei gehörte die jüdische Population der nordhessischen Kleinstadt seit circa 1300 zu den größten jüdischen Gemeinden in Kurhessen überhaupt, und noch im 19. Jahrhundert war dort jeder zehnte Einwohner jüdischen Glaubens. Totschweigen ist auch eine Sünde. Für mich die größte.

Heinz Mundschau, Aachen

Furor gegen Juden

„Sauerei am Gotteshaus“,

taz vom 20. 1. 20

„Aus den Augen – aus dem Sinn“? Weg mit diesen drastisch-anschaulichen Beispielen an und in den Kirchen – und entsorgen im Museum? Oder zum Anlass nehmen, über den kriminellen Antisemitismus der Christlichen in ihrer langen Geschichte nachzudenken und ihre moralische Katastrophalbilanz über Jahrhunderte? Denn jener war keine Erfindung der Nazis, sondern der Christen, deren Furor, als sie Staatskirche geworden sind Ende des 4. Jahrhunderts, sich gegen alles richtete, was überhaupt anders war. Insbesondere gegen Juden, die sich ihnen nicht beugten. Verleumdet wurde von Anfang an, der Besitz konfisziert, Mischehen bei Todesstrafe untersagt, Synagogen zerstört, es wurde versklavt, vertrieben, gettoisiert, ausgegrenzt durch besondere Judentracht, von Ämtern ferngehalten, gemordet und so weiter. Nicht weniger radikal waren die Protestanten, Luther entpuppte sich als rabiater Judenhetzer, auf den sich Julius Streicher 1946 vor dem Militärgerichtshof in Nürnberg nicht zu Unrecht berief. Nie protestierten die christlichen Kirchen gegen die NS-Judenpolitik oder gegen die KZs und nicht gegen den Massenmord. Weil sie auf das Engste mit dem Nazistaat verbandelt waren. „Jetzt muss die Justiz entscheiden“ – über die kirchlichen Judensauen. Eigentlich müsste darüber eine aufgeklärte demokratische Gesellschaft entscheiden.

Bruno Mattes, Stuttgart

Militärisches Engagement ist Krieg

„Libyens Stunde der Wahrheit“, „Wenn alles plötzlich ganz einfach wird“

taz vom 20. 1. 20 und 21. 1. 20

Dominic Johnson fordert anlässlich der Berliner Libyenkonferenz, mehr militärisches Engagement in Libyen und, militärischen Druck folgen zu lassen. Für die Jüngeren unter uns sei darauf hingewiesen, dass seit dem Vietnamkrieg, Irankrieg, Afghanistan- und Irakkrieg solche militärischen „Engagements“ (ich nenne das Krieg) nicht zu gewinnen sind. Hier sei nur an die 68er-Weisheit erinnert: Fighting for peace is like fucking for virginity.

Silke Mertins reiht sich ein unter die Verächtlichungsmacherinnen der Politiker, wenn sie Sevim Dağdelen schmäht, durch ihren Vorschlag für Libyen sei das Problem gelöst. Tatsächlich erklärt die Linke-Politikerin in der taz der gleichen Ausgabe: „Nicht nur die ausländischen Truppen (…), auch die ausländischen Ölkonzerne sollten das Land verlassen.“ So durchdacht ist das! Ich stimme Mertins zu, dass selbst versierte Expertinnen Schwierigkeiten haben. Macht nix.

Rolf Bergmeier, Köln