piwik no script img

Die Schau der Weltenschöpfer

Die faszinierende Ausstellung „Modell-Naturen in der zeitgenössischen Fotografie“ in der Alfred Ehrhardt Stiftung

Julian Charrières Arbeit von 2011 Foto: Alfred Ehrhardt Stiftung

Von Brigitte Werneburg

Die Künstler und Künstlerinnen dieser Ausstellung sind alle kleine Weltenschöpfer. Denn für ihre Naturfotografien werden sie zum Modellbauer, und als solche kreieren sie auf ihre je ganz eigene Weise großartige Meeres- und Gebirgslandschaften, aber auch Naturkatastrophen en miniature.

Sie führen uns wie Julian Charrière ins schneebedeckte Hochgebirge, aber die geografischen Koordinaten, mit denen der Künstler seine Bilder benennt, sagen etwas anderes. Danach fotografierte er sein „Panorama 52/Grad!!!/ 29’ 52.20‘‘ N 13 /Grad!!!/ 22’ 19.48‘‘ E“ (2011) mitten in Berlin, am Schöneberger Gleisdreieck, wo er wahrscheinlich den Erdaushub einer Baustelle mehlbestäubt als Gebirge inszenierte.

Das Trompe-l’œil ist dennoch fast perfekt, und nur wenn man sehr nah rangeht, sieht man, dass der Schnee keiner ist, sondern Puder. Ganz anders die israelische Künstlerin Shirley Wegner, die erst gar nicht versucht, die Täuschung zu verbergen. Also sind die gelben Plastikborsten, die bei „Crop“ (2012) ihr Weizenfeld bilden, deutlich zu erkennen.

Interessanterweise wirkt ihr Versuch des Modells-als-Welt nicht weniger überzeugend als „Schatten #10 (Privatweg)“ (2016), Oliver Bobergs Detailstudie von einem Holzverschlag auf altem Mauerwerk, die an keinem Punkt als Modell zu entlarven ist. Doch Wegners Modellversuch ist der zweifellos attraktivere. Denn nur mit den Anhaltspunkten, die das Modell als solches identifizieren, kommt die Faszination an unserer irritierten Wahrnehmung ins Spiel.

Der perfekte Nachbau löst unsere Bewunderung aus, die bemalten Wattebäusche, die bei Shirley Wegner die Rauchwolken einer „Night Explosion“ (2013) simulieren, aber erregen unser wiederkehrendes Staunen ob ihrer sichtlich kunstvollen Natürlichkeit. Schönerweise ist auch Thomas Wredes „Haus im Gebirge“ (2007) als Spielzeughaus aus Plastik zu erkennen, was den Reiz der fantastischen Gebirgslandschaft nur erhöht. Wrede kann, weil er eine Pfütze zum Meer macht oder einen Sandhaufen zur Wüste, die natürlichen Licht- und Witterungsverhältnisse nutzen.

Diese stellt nun die Fotografin Sonja Braas selbst her, in ihrer 52-teiligen Serie „The Passage“ (2009–2012), die uns auf eine Expedition in eine schneebedeckte Polarlandschaft schickt. Taghell gestartet und lange in finsterer Nacht gefangen kommt man nach 52 Wochen wieder im Hellen an. Die Schwarz-Weiß-Quadrate sind wie eine Art meditatives Poem an der Wand inszeniert und zeigen eine für alle Arbeiten geglückte Hängung, die ihre ästhetische Zielsetzung oder ihre politischen, kunst- oder kulturhistorischen Referenzen verdeutlichen kann.

Bis 26. April, Alfred Ehrhardt Stiftung, Programm mit Künstlergespräch und Autorenlesung, siehe: www.alfred-ehrhardt-stiftung.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen