Frankreich streikt … und streikt …

… und streikt. Am 6. Aktionstag protestieren immer noch viele Menschen. Die Seehäfen bleiben blockiert

Aus Paris Rudolf Balmer

Frankreichs Premierminister Édouard Philippe reicht es. Die Streiks hätten „bereits zu lange gedauert“, der Protest gegen seine Rentenreform sei in einer „Sackgasse“ angelangt, hatte er am Mittwoch gesagt. Das Land müsse zum Normalbetrieb zurückkehren. Das bleibt vorerst Wunschdenken. Seit nunmehr sechs Wochen werden vor allem den Bahnverkehr und die städtischen Transportmittel in Paris und anderen Städten von Streiks stillgelegt oder eingeschränkt. Die Ankündigung des Regierungschefs, vorläufig auf eine Erhöhung des Rentenalters zu verzichten, hat sie nicht überzeugt.

Am Donnerstag waren darum wieder Zehntausende in vielen Städten des Landes und am Nachmittag auch in Paris auf der Straße. Auch die Gewerkschaften finden mehrheitlich, dass die Lage in Frankreich „verfahren“ sei – schuld daran sei aber die Regierung. Zwar ist bei der Bahn die Zahl der aktiv Streikenden in den letzten Tagen gesunken, doch an diesem sechsten landesweiten Aktionstag machten ein Drittel der LokführerInnen trotz der Lohnausfälle nach 43 Tagen Ausstand mit.

Seit Wochenbeginn sind auch die meisten Seehäfen von den Hafenarbeitern stillgelegt. In Marseille waren Hunderte von Personen und ganze Familien in ihren Autos vor den Zugängen zu den Fährschiff-Terminals blockiert. Vor Ende der Woche soll kein Schiff nach Algerien auslaufen.

Besonders betroffen von der geplanten Vereinheitlichung des Rentensystem fühlt sich die Anwaltschaft. Wie sich die Reform auswirken würde, erklärt die auf Arbeitsrecht spe­zia­li­sierte Pariser Anwältin Catherine Modat mit einem Beispiel: Wer heute mit der autonomen Rentenkasse bei einem Erwerbseinkommen von brutto 3.700 Euro im Monat eine Rente von 2.130 Euro beziehen könne, bezahle jetzt dafür 518 Euro (14 Prozent) als Beitrag. Mit der Reform und einer Einheitskasse müsse das Doppelte, 1.036 (28 Prozent), pro Monat eingezahlt werden. Zudem protestieren die Advokaten gegen die Aussicht, dass die 2 Milliarden Euro Reserve ihrer Kasse schlicht vom Staat konfisziert werden.

Wie überall in Frankreich haben in Rennes auch die Lehrerinnen und Lehrer der öffentlichen Schulen mehrfach gestreikt, so am Donnerstag erneut und zum sechsten Male. „In meiner Schule, dem Lycée Descartes, beteiligen sich zwei Drittel des Personals“, bestätigt uns Stéphanie Hochet (44), die auf einer Art Berufsschule Gymnasialabsolventen in Wirtschaft und Geschäftsführung unterrichtet. Sie ist 1975 geboren und zählt damit zum ersten Jahrgang, der vom neuen Punktesystem der Rentenberechnung betroffen wäre.

Was dieses für sie genau bedeuten würde, konnte sie dank einer Simulation der Regierung testen: „Mit dem Punktesystem käme ich unter Einberechnung meiner gesamten Berufstätigkeit beim gesetzlichen Ruhestandalter auf exakt 1.080 Euro pro Monat, das sind rund 500 Euro weniger als mit dem bisherigen System, das unsere Rente im öffentlichen Dienst aufgrund der letzten sechs Monate vor dem Ruhestand kalkuliert.“

Dass die Regierung ernsthaft bereit sei, diese enorme Differenz etwa mit Gehaltserhöhungen zu kompensieren, kauft sie dem Bildungsminister nicht ab. Hochet will mit ihren Kolleginnen und Kollegen in Rennes daher weiter protestieren, um die Rentenreform zu verhindern.