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Als John Wayne durch unser Wohnzimmer ritt

Im Workshop der Vater-Sohn-Beziehungen: Falk Richters neues Stück „In My Room“ im Maxim Gorki Theater

Von Katrin Bettina Müller

Ich und mein Vater, sein und mein Bild von Männlichkeit, wie viel steckt von dem einen im anderen? Fünf Schauspieler und ein Autor erzählen von ihren Vätern und denken über ihre Vater-Sohn-Beziehung laut nach in dem Stück „In My Room“ auf der Bühne des Gorki Theaters. Der Autor und Regisseur Falk Richter hat diesen Abend angestoßen, er ist einer von ihnen.

Seine Geschichte übernimmt der Schauspieler Jonas Dassler im ersten langen Monolog des Abends, der von Fremdheit, Schweigen und gewalttätiger Ablehnung des schwulen Sohns erzählt, vom Kriegstrauma des Vaters, das Jahrzehnte zwischen ihnen stand, von der Scham des Vaters ob der männlichen Freunde des Sohns. Am Ende springt Dassler erleichtert aus dieser ersten Episode des Abends und fügt seine eigene eher kumpelhafte freundschaftliche Vater-Sohn Beziehung an.

Die Inszenierung lebt von der Besetzung, der Offenheit der Schauspieler und der Unterschiedlichkeit ihrer Geschichten. Emre Aksizoglu, Taner Sahintürk und Benny Claessens sind Kinder von Arbeitern, zwei davon von Gastarbeitern. Taner Sahintürk litt als Sohn darunter, vom Vater als Deutscher beschimpft zu werden, Emre Aksizoglu unter dem hartnäckigen Versuch seines Vaters, sich möglichst deutsch zu verhalten. Als er Punk wurde, erzählt Taner, nannten ihn andere türkische Mitschüler schwul; Emre wurde von muslimischen Mitschülern als „Jude“ ausgegrenzt, dabei gehört er zu den Aleviten. In der Erinnerung lachen sie darüber, jetzt, sie haben schon viel weggesteckt.

Fast alle leiden unter dem unerfüllten Leben ihrer Väter, unter deren Unglück, unter deren Lebenslügen. Über das Nichtaussprechen von Gefühlen. Und selbst wenn Benny Claessens erzählt, wie er sich für den alten Mann, der sein Vater geworden war, geschämt hat, fühlt man mit ihm.

Teilweise werden die Fäden der einzelnen Beziehungen auch miteinander verknüpft, jedem Vater wird ein Song gewidmet, vom Publikum immer geliebt. Jeden Abend ritt John Wayne durch unser Wohnzimmer, erinnert der Autor selbst das Männerbild seines Vaters, später tragen alle mal Westernhüte zu glamourösen Fummeln und fummeln sich in einen Film mit John Wayne. Diese lustigen Bilder der Ambivalenz, den harten Helden abzulehnen als Role Model und doch nicht frei von seiner Anziehungskraft zu sein, gehören zu den guten Momenten der Aufführung. Wenn Jonas Dassler aber, noch immer als der Autor, vom Männlichkeitsbild des Vaters auf die „Alpha-“ und „Bossmänner“ kommt, denen der Deutschrapper Felix Blume alias Kollegah in einem Buch und seinen Lesungen huldigt, dann ist das zwar eine gelungene Karikatur, aber ein großer Denkgewinn ist nicht dabei.

Man unterhält sich, man entwickelt Empathie, das Stück hält etwas von der steigenden Betriebstemperatur in einem Workshop am Leben. Der Programmzettel zitiert Didier Eribon, und natürlich erinnert der Ausgangspunkt an dessen Erzählung „Rückkehr nach Reims“ und ihre gesellschaftliche Analyse, über die Wege von Intellektuellen und von Arbeiterklassen. Aber von einer solchen Analyse, von einer solchen Verknüpfung des Biografischen mit einem größeren Bild, ist der Abend trotz der gelegentlich spürbaren Absicht weit entfernt.

Am Ende schlägt das Stück einen großen Bogen: Es springt ans Ende des Lebens von Vätern und Söhnen, an die Bahre ins Heim, Gedanken verwirren sich, das Unausgesprochene rutscht in Brocken heraus. Richters Vater starb, während er an seiner Auseinandersetzung mit den Vaterfiguren arbeitete, das Stück ist auch eine Form von öffentlicher Trauerarbeit.

Wieder am 18./19. + 23. Januar im Gorki

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