piwik no script img

Schale Kalauer

Sie würde ihre sexuell aufgeladenen Statements nicht ohne weiteres im voll besetzten Bus artikulieren: Der Kunstverein präsentiert eine zweifelhafte Retrospektive der international gefeierten britischen Künstlerin Sarah Lucas

von Hajo Schiff

Nicht alle Gäste aus Großbritannien genießen solch übermäßige Aufmerksamkeit wie die Queen Mary II. Zur Zeit in Hamburg angelandet ist auch ein Star der „Young British Art“: Sarah Lucas aus London. Mit ihren sexuell aufgeladenen Objekten gilt sie als das „bad girl“ der Anfang der Neunziger Jahre mit kräftiger Hilfe der Saatchi Collection aus der Taufe gehobenen Kunstrichtung einiger Studenten des Goldsmith-College. Der Kunstverein zeigt jetzt die erste große Retrospektive der 1962 geborenen Künstlerin. Die Schau ist eine Zusammenarbeit mit der Kunsthalle in Zürich und der Tate Liverpool. Sie umfasst über 100 Arbeiten.

Kleinplastiken aus Zigarettenkippen und Bierdosenpenisse werden da in einem dunkeln Kabinett edel musealisiert, lasziv sich räkelnde, ausgestopfte Strumpfhosen sitzen auf Stühlen herum, ein Pissoir ist in die mit Bierreklame bedruckten Tresenläufer britischer Pubs verpackt, und bewusst flappsige Installationen inszenieren wortwörtlich grobe umgangssprachliche Redewendungen mit Hilfe von Gurken und Bananen, Melonen und Orangen, Räucherfisch und Hühnchen und Schinken, Höschen und Büstenhaltern.

Sarah Lucas räumt im Interview ein, dass sie sich nicht sicher ist, ob sie das, was sie als Künstlerin formuliert, auch in einem voll besetzten Bus sagen würde. Aber um viel mehr als „four-letter-words“ würde es ohnehin wohl kaum gehen. Während der Pressekonferenz jedenfalls äußerte sich die Künstlerin nicht, sie briet Spiegeleier – nicht zur Mittagspause, sondern als immer wieder frisch zu ergänzendes künstlerisches Material.

In dieser Kunst geht es überdeutlich um Kneipensprüche, um schmutzige Sexualität und ein keineswegs gemütliches Geschlechterverhältnis; selbst Vanitasmotive lassen sich finden. Dabei leidet die Suggestion der Authentizität einer Subkultur zwangsläufig unter der Zurschaustellung ganzer Werkgruppen. Denn wie oft ist ein ohnehin schaler Gag zu wiederholen, bis er ein Kalauer wird? Das Ideenreservoir, aus dem hier geschöpft wird, ist leider recht dünn.

„Complete Arsehole“ schimpft ein T-Shirt auf einem Großfoto und präzisiert die Pöbelei zu einem bloßen Faktum mit dem Bild eines ganzen Hinterteils. Derartige Witzigkeiten, die bestenfalls die Qualität von Werbegags auf Bierdeckeln erreichen, mögen manche Kunsthistoriker an surrealistische Entwürfe zur Differenz von Dingen, ihren Bezeichnungen und Bedeutungen erinnern. Aber nicht jedes in einen Kunstraum gestellte Klo kann den Jahrhunderteffekt von Marcel Duchamps Pissoir wiederholen, und eine größere Anzahl von Klos – wie hier präsent macht das auch nicht besser. Wenn überhaupt, so ist dies ein schäbiges Supersparangebot an Surrealismus der trinkenden Klasse.

Wie aber, wenn all diese so grob offensichtlichen sexuellen Assoziationen nur eine Falle sind, die Sarah Lucas den Betrachtern stellt? Wenn es gar nicht darum ginge, eine männlich-triviale Metaphorik abzubilden, sondern sie für sich zu besetzen? Dann wären alle diese Arbeiten nur dazu da, zu beweisen, dass man als Künstlerin eben dies heute machen kann. Und ein gerupftes Huhn auf Bettgestell wäre ohne Hintergedanken nur eine nicht eben berauschende Materialcollage.

Allerdings gibt es auch einige Arbeiten, die allein durch in ihrer Materialität wirken: Der exzellent platzierte, vor dem Treppenfenster schwebende Zeppelin aus Beton, die Pop-Zitate des Dosenfleisches SPAM oder die den Erdgeschossraum füllende Installation „Car Park“ mit dem Auto mit zerschlagenen Scheiben und der mystifizierenden Autonummer HH-XY. Und hübsch zu beobachten ist allemal, wie die an Kleiderbügeln aufgehängten Spiegeleier sich verformen.

Di–So 11–18, Do bis 21 Uhr, Kunstverein; bis 9. 10.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen