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Irans Führung unter Druck

Nach dem späten Geständnis Teherans, das ukrainische Flugzeug abgeschossen zu haben, kommt es in zahlreichen Städten zu Protesten. Die Revolutionsgarden gehen teils mit Gewalt gegen die Demonstranten vor; der britische Botschafter wurde kurzzeitig festgesetzt

Teheran, 11. Januar. Auf den Protestschildern steht frei übersetzt: „Nach Artikel 27 der Verfassung der Islamischen Republik sind Demonstrationen frei, wenn sie sich nicht gegen den Islam richten“ und „Das war ein gewaltiger Fehler“ Foto: Rouzbeh Fouladi/Zuma Press/picture alliance

Von Dominic Johnson

Die Tötung des iranischen Generals Qasim Soleimani durch die USA im Irak am 3. Januar mag ein Eigentor für die US-Nahostpolitik gewesen sein – der iranische Abschuss des ukrainischen Linienflugs PS752 bei Teheran fünf Tage später erweist sich nun als Eigentor für Irans Regime. Seit dem offiziellen Eingeständnis, wonach das Flugzeug abgeschossen wurde (siehe unteren Text), breiten sich im Iran wieder Proteste aus.

Der in der vergangenen Woche von Irans Staat verbreitete Eindruck einer in Empörung über den dreisten Mordanschlag auf den Helden Soleimani vereinten Nation ist offizieller Verunsicherung gewichen. „Unverzeihlich“, titelte am Sonntag das Regierungsblatt Iran und druckte auf der Titelseite die Namen aller 176 Toten – mehrheitlich iranische Staatsbürger. „Entschuldigt euch und tretet zurück“, titelte Etemad.

Die Regierung von Präsident Rohani ist im Iran schwach gegenüber Revolutionsführer Ajatollah Chamenei und den ihm direkt unterstellten Revolu­tionsgarden, deren Auslandskommandant der getötete So­lei­mani war. Aber für die wütenden Demonstranten, die am Samstag in zahlreichen Städten auf die Straße gingen und sich am Sonntag zu weiteren Protesten sammelten, ist das alles eins.

„Soleimani ist ein Mörder, Chamenei ist ein Mörder“, skandierten sie nach Angaben von iranischen Journalisten und Exiliranern, die Videos der Demonstrationen im Internet verbreiteten: „Tod Chamenei“, „Tod den Lügnern“, „Tod dieser Regierung, so viele Jahre Verbrechen“ und im Anklang auf die offizielle Erklärung des Flugzeugsabschusses als „Irrtum“ sogar „Irrtum war, was wir 1979 machten“ – das Jahr der islamischen Revolution.

Die Demonstrationen begannen Berichten zufolge als Mahnwachen für die Toten des Flugzeugabschusses. Daraus wurde Wut darüber, dass Irans Machthaber tagelang die Verantwortung für den Absturz geleugnet hatten. An der Teheraner Universität gingen die Revolutionsgarden nach einiger Zeit mit Gewalt gegen die Demonstranten vor und setzten Tränengas ein.

Soleimanis Tod hat die Iraner nicht so vereint wie vom Regime erhofft

Der britische Botschafter Robert Macaire wurde bei einer der Kundgebungen in Teheran festgenommen und eine halbe Stunde lang festgehalten. Er habe nicht gewusst, dass es eine politische Demonstration werden würde, erklärte er hinterher. „Kann bestätigen, dass ich in keiner Weise an irgendeiner Demonstration teilgenommen habe“, schrieb er auf Twitter. „Bin zu einer Veranstaltung gegangen, die als Mahnwache für Opfer der #PS752-Tragödie angekündigt wurde. Normal, dass ich die letzte Ehre erweisen wollte – einige der Opfer waren Briten.“ Nach fünf Minuten sei er gegangen, als einige begonnen hätten, Parolen zu skandieren. Iran warf ihm Einmischung in innere Angelegenheiten vor; am Sonntag gab es Überlegungen, ihn auszuweisen.

Am Sonntag gingen die Proteste weiter, vor allem an Univer­sitäten. Der Staat zog an zwei zentralen Plätzen Teherans und vor den Universitäten Sicherheitskräfte zusammen, um die Lage unter Kontrolle zu halten. „Revolutionsgarde, ihr tötet das Volk“ und „Revolutionsgarde, ihr seid unser IS“ lautete die Antwort mancher Protestierender. Auf dem Platz Vali-e Asr wurde ein großes schwarzes Banner mit den Namen der 176 Toten des Abschusses enthüllt. Auf einem Video, das an der Beheschti-Universität aufge­nom­men worden sein soll, war zu sehen, wie ein Protestmarsch einen sorgfältigen ­Bogen um die im Boden eingelassenen Flaggen der USA und Israels macht, die man normalerweise auf offiziellen Aufmärschen mit Füßen zu treten hat. „Unser Feind ist die Islamische Republik“, riefen die Leute und verhöhnten einzelne Gardisten, die über die Flaggen liefen, als „würdelos“.

Offen bleibt zur Stunde, ob sich daraus eine Massenbewegung entwickelt – wie zuletzt im November, als in zahlreichen Städten quer durch das Land Menschen gegen Korruption und die schlechte Wirtschaftslage auf die Straße gingen und bei der Niederschlagung der Proteste bis zu 1.500 Menschen getötet wurden. Die Erinnerung daran ist noch sehr frisch, und der nahende Wahlkampf zu den Parlamentswahlen im Februar dürfte alle beeinflussen. Aber klar ist: Soleimanis Tod hat die Iraner nicht so hinter ihrem Regime vereint, wie es Teheran hoffte. Ein Regime, das in Reaktion auf so ein Attentat 147 eigene Staatsbürger tötet und dann darüber drei Tage lang lügt, kann nur schwer das Vertrauen seiner Bürger beanspruchen. (mit Agenturen)