Muss die WM-Fanmeile auf die Straße des 17. Juni?

pro

Wenn’s ums Auto geht, verstehen die Deutschen keinen Spaß. Natürlich motzt der ADAC, weil es angeblich Staus gibt, wenn die Straße des 17. Juni zugunsten einer Fußballfanmeile während der Weltmeisterschaft im Herrenfußball gesperrt würde. Schon dieser Einwurf der schlimmsten deutschen Spießervereinigung (Nix gegen die „Gelben Engel“!) sollte ein Grund sein, den „17. Juni“ zu sperren. Allein um zu zeigen, dass die autohirnigen Herren vom ADAC einmal nicht das Sagen haben.

Es gibt noch andere Argumente für die Fanpartymeile „17. Juni“: Die Paradestraße mit der unseligen „Siegessäule“, die an den Gott sei dank letzten deutschen Sieg im Krieg 1870/71 gegen die Welschen erinnert und in der Nazizeit zugunsten der Trophäen erwarteter Siege aufgesockelt wurde, bekäme etwas chaotisch Ziviles, unberechenbar Spielerisches. Dieses allzu pathetische Brandenburger Tor kehrte wieder etwas zurück in die Sphäre des Banal-Normalen, weil davor Großleinwände zeigten, wie das Runde ins Eckige muss.

Sicherlich, der Übertragung des Live-8-Concerts von dort vor ein paar Wochen haftete etwas Provinzielles an, weil man das Massengeschehen im Fernsehen eher in einer Waldlichtung vermutet hätte – aber gerade das hatte etwas. Brandenburger Tor, Fußball und Tiergarten, das gleicht dem Gleichklang Kultur, Spaß und Natur, seit den Festen der Barockzeit das schönste der öffentlichen Amusements. Eine solche Fanpartymeile am Spreebogen dagegen käme viel stärker als nationale Protzerei daher: Seht her, das neue Deutschland und Berlin! Wir haben das größte Kanzleramt, den größten Zentralbahnhof und den längsten … Tunnel unter einem Stadtpark. Als wollte man der Welt die neue Prachtmeile der Stadt zeigen. Ohne zu wissen, dass wahre Pracht erst wachsen muss.

PHILIPP GESSLER

contra

Deutschlands Fußballpaten, Franz Beckenbauer immer vorneweg, sind Weltmeister im Schwachsinn-Absondern. Ist dies auf dem Bildschirm schon unerträglich, in der Halbzeitpause irgendwelcher Benefiz-Länderspiele, muss man ihnen nach ihrer Verbalgrätsche ins Rote Rathaus ins Hirn trillern: Leute, bleibt bei euren Bällen. Redet über Fußball, doch ansonsten schweigt stille.

Warum dieses pubertäre Klammern an die Straße des 17. Juni? Es spricht einiges für den Spreebogenpark als Fan-Schauplatz, auch wenn man das Stau!-Dauerstau!-Superstau!-Geseiere des ADAC ignoriert. Denn wo die Spree sanft kurvt, schlägt das Herz der Republik. Hier haben mit Kanzleramt, Reichstag und Paul-Löbe-Haus Exekutive wie Legislative ihren Sitz. Das helle, weitläufige Regierungsviertel für die Fans zu öffnen zeugt von Mut und setzt ein wahres Signal für Weltoffenheit. Der Senat lässt eine wilde, ausgelassene Fußballfeier zu, nur ein paar Dutzend Schritte von den Schaltstellen der Macht. Das ist in etwa so, als würden enthusiasmierte Ronaldinho-Groupies auf dem Rasen vorm Weißen Haus tanzen. Außerdem, mal ganz pragmatisch aus Fanperspektive argumentiert: Die schrägen Terrassen des Parks bilden ein natürliches Amphitheater vor der Leinwand. Schöner gucken geht nicht. Wer mitten im Schlauch der Straße des 17. Juni steht, nimmt Klinsmanns Jungs nur als Legomännchen wahr. Für die (fußballfreie) Pause bietet sich an der Spree manch erfrischendes Plätzchen, fürs Sonnenbad liegt der Tierpark in Gehweite.

Ja, ja, schon klar, auf ein paar Fernsehbildern fehlt dann das Brandenburger Tor, das Symbolbauwerk der Stadt. Aber ist es wirklich so schlimm, mal nicht das übliche Klischee um den Erdball zu senden? Das Spiel Fußball könnte nicht leben ohne neue Ideen. In Deutschland gilt dies leider nicht. ULRICH SCHULTE