wortwechsel: Zur Lage im Iran, in Österreich und bei der SPD
Die Eskalation im Iran/Irak führt zu heftigen Diskussionen der Leser*innen. Die taz vermengt Kommentar mit Bericht bei der SPD, und Österreich wird türkis-grün
Militärpolitischer Vogel abgeschossen
„Die USA mussten reagieren“ und „Grüner Populismus“
taz vom 6. 1. 20
Der Artikel schießt in zweifacher Hinsicht einen militärpolitischen Vogel ab. Zum einen sagt der „USA-Experte“ Josef Braml im Interview zum Drohnen-Mord am iranischen General Suleimani allen Ernstes: „wenn die Europäer heute anfangen würden, sich militärisch besser zu rüsten, wären sie vielleicht in 20 bis 30 Jahren so weit, um sich ohne die USA selber schützen zu können“. Leider fragt Pickert nicht nach, wen Braml denn als möglichen Feind der Europäer im Auge hat. Die Russische Föderation vermutlich nicht, denn deren Rüstungsausgaben werden schon jetzt von den europäischen Nato-Partnern um das Fünffache übertroffen. Zum anderen stellt sich Martin Reeh in seinem Kommentar „Grüner Populismus“ als jemand dar, der die „Komplexität der Welt“ begriffen hat, indem er die Grünen-Vorsitzende Baerbock für ihre Forderung nach Abzug der Bundeswehrsoldaten aus dem Irak rüffelt. Sie bediene damit „populistisch“ die „pazifistische Grundstimmung in Deutschland“. Und ich dachte naiverweise, es sei Demokratie, wenn die gewählten Politiker das machen, was die Mehrheit des Volkes will. Walter Ruffler, Bremen
Was stabilisieren wir eigentlich?
„Bundeswehr bleibt im Irak“,
taz vom 6. 1. 20
Erschrecken kann es keinen aufmerksamen Beobachter mehr, was deutsche Außenpolitik unbeirrt verfolgt. Schon gar nicht alle jene, die ein wenig politisch, historisch um Tradition und Streben deutscher Außenpolitik Kenntnis haben. Es ist längst auch Illusion, daran zu glauben, dass aus Erfahrungen der Geschichte gelernt werden könnte. Das mag auf manches zutreffen. Auf deutsche Außenpolitik nicht, auf Kriegspolitik nicht und auf alle die Politik nicht, die dem Streben nach Weltherrschaft des Kapitals untergeordnet ist.
Rationell oder gar menschlicher Vernunft folgend ist es unerklärbar, wenn die „Verteidigungsministerin“ AKK auf die Eskalation um Irak/Iran erklärt, die deutschen Soldaten müssten zur Stabilisierung weiter vor Ort bleiben.
Darf bei einem denkenden Menschen dabei nicht einmal die Frage entstehen, wie viele Jahre wir schon militärisch stabilisieren, mit wie vielen Opfern, wie vielen Erfolgen und was wir stabilisieren, wenn wir die weitere Ausdehnung des Kriegsherdes im Grunde genommen stützen und tolerieren. Wie kann stabilisiert werden, wenn nichts getan wird, den Kriegsherd einzudämmen. Wie kann eine Kriegsregion wie der Nahe und Mittlere Osten überhaupt noch zu Stabilisierung gelangen, wenn wir wissen, dass sich in der Region Militärs vieler Staaten, der Nato, USA, Russlands und dazu verschiedenste herangezüchtete Terrororganisationen in Krieg verwickelt haben.
Freund und Feind, Terrorist oder Freiheitskämpfer, völkerrechtlich legitimiert oder nicht, wer kann das noch auseinanderhalten? Roland Winkler, Aue
Iran historisch betrachten
„USA und Iran auf Kriegskurs“ u. a.,
taz vom 6. 1. 20
Bei Berichterstattung und Kommentierung wird in den maßgeblichen westlichen Medien auf tendenziöse Weise ein Blick zurück auf die historisch belegten und die heutige Situation in Iran prägenden Vorgänge verweigert.
Die sind nicht zu erklären
– ohne die 100 Jahre zurückliegenden Erfahrungen Irans mit der imperialistischen Politik Großbritanniens und des russischen Zarenreiches,
– ohne deren Teilung des Landes, bis hin zu der Einsetzung eines britischen Kontrolleurs zur Abführung der an England abgetretenen Tabaksteuer,
– ohne die von der CIA mit wenigen Dollar erkaufte Absetzung Mossadeghs, der westliche Ölkonzerne verstaatlicht hatte,
– ohne die Wiedereinsetzung des Schah-Regimes,
– ohne dessen Machenschaften mit westlichen Politikern und Ölkonzernen, dessen Verschleuderung von Einkommen aus iranischen Ölvorkommen,
– ohne die amerikanische Unterstützung Saddam Husseins bei dessen Angriffskrieg mit Millionen iranischen Toten,
– ohne das amerikanischen Paktieren mit Saudi-Arabien, wo eine schiitische Minderheit unterdrückt und brutal verfolgt wird, deren führende Repräsentanten geköpft wurden,
– ohne die amerikanische Unterstützung der völkerrechtswidrigen Politik des Staates Israel in dessen Verfolgung der biblischen Ansprüche auf alles Land zwischen Sinai und Euphrat mit Vertreibung der ortsansässigen Bevölkerung.
Unsere Medien verweigern, man kann nur sagen absichtlich, den Blick auf historische Vorgänge um die westliche Politik der Ausbeutung und Unterdrückung.
Gewiss, ohne Führung durch eine Großmacht würde die Welt in den Abgrund stürzen, an dessen Rand sie derzeit unter Führung von Trump geraten ist, aber statt Bomben und Granaten brauchen wir Wahrheit, Selbsterkenntnis und die Schaffung eines fairen internationalen Systems, das die Durchsetzung von Völkerrecht und internationaler Verträge mit polizeilicher Waffengewalt gewährleistet.
Friedemann Ungerer, Anklam
Kommentar statt Bericht
„Was die Sozis am besten können?“,
taz vom 7. 1. 20
Sie überschreiben Ihren Inland-Artikel mit der Frage „Neue Steuer: Was die Sozis am besten können?“ In süffisanter Weise werden schon in der Überschrift, ehe der „Bericht“ überhaupt beginnt, die Vorschläge der SPD in Frage gestellt, dem Betrachter suggeriert, dass der SPD nichts Besseres einfällt, als Steuern zu erhöhen. Welchen Eindruck hinterlässt diese Aufmachung bei den Lesern? Dabei handelt es sich um die Bemühungen der neuen SPD-Spitze, Bodenspekulationen zu verhindern, also um ein ernstzunehmendes Thema, worüber Sie dann auch im zweiten Teil des Artikels durchaus sachlich berichten. Die Krux ist, dass Sie sachlichen „Bericht“ und „Kommentar“ in unzulässiger Weise vermischen. Das ist schlechter journalistischer Stil! Obengenannte Überschrift hätte zu einem „Kommentar“ ohne Zweifel gepasst. Aber mit einer sachlichen Berichterstattung hat das nichts zu tun, ebenso wenig die Einleitung des Artikels „Will die SPD schon wieder den Arbeitern ihre Villen im Tessin wegnehmen?“ oder die Kommentierung von Politiker- Aussagen mit „brannten gerade ein Erregungsfeuerwerk ab“ oder „echauffierte sich der FDP-Parteichef“. Wolfgang Schief, Herrsching
Neue „K & K-Dynastie“
„Aus Blau wird Grün“,
taz vom 4. 1. 20
Was haben die Österreicher, was wir Deutsche nicht haben? Ibizagate zum Beispiel. Und nur wer aus dieser Affäre keine Konsequenzen zieht, rennt mit dem gleichen Kopf zweimal gegen die gleiche Wand.
Insoweit überrascht in Österreich die Machtverschiebung hin zur politischen Mitte, mithin weg vom Rechtsnationalen, wohl kaum. Genauso wenig wie das relativ starke Comeback der Grünen im Nationalrat, welches ebendiese sogleich dankbar zur Übernahme von Verantwortung mittels Regierungsbeteiligung veranlasst hat. Dankbar deshalb, weil die linksliberale Partei laut Koalitionsvereinbarung durchaus so manch sicherheitspolitische Kröte zu schlucken bereit ist.
Ob sich indes die überaus rege Anpassungsfähigkeit der neuen „K (Kurz) & K (Kogler)“-Dynastie zum türkis-grünen Experiment für die österreichischen Bürger und Bürgerinnen auszahlt, bleibt freilich abzuwarten. Das zuvor betriebene, schwarz-blaue Experiment ist bekanntlich gescheitert. Denn auf Biegen folgt manchmal Brechen. Matthias Bartsch, Lichtenau
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