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Wischen, swipen, verbrennen

Der US-Autor Ray Bradbury erzählte 1953 in seinem Roman „Fahrenheit 451“ von einer Gesellschaft in selbst gewählter Unmündigkeit. Alexander Simon hat den Stoff nun mit einem Ensemble der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ als Theaterstück adaptiert

Von René Hamann

Feuer. Die Urgewalt feiert dieser Tage ja ein großes Comeback, und zwar, wie zu hoffen ist, kurz vor Toresschluss, denn das Zeitalter der Verbrennung sollte eigentlich bald Geschichte sein. Bis es so weit ist, brennt es zum Beispiel Downunder aber noch einmal kräftig. Land und Leute, tierisches und pflanzliches Leben werden verbrannt; das gigantische Ausmaß dieser Tragödie zeigt auch, dass die menschliche Beherrschung des Feuers Utopie geblieben ist. Doch zum Glück gibt es die Feuerwehr. Die Feuerwehr ist bekanntlich dafür da, gegen das Feuer vorzugehen, es zu löschen. Dass die Feuerwehr auch anders funktionieren kann, hatte sich der US-amerikanische Science-Fiction-Autor Ray Bradbury (1920–2012) einmal ausgedacht. In seinem dystopischen Roman „Fahrenheit 451“ von 1953, relativ zeitnah vom französischen Nouvelle-Vague-Regisseur François Truffaut verfilmt (1966 mit Oskar Werner als Feuerwehrmann Guy Montag in der Hauptrolle), löscht die Feuerwehr nicht, sondern legt ihrerseits Brände.

Ihre Aufgabe ist es nämlich, Bücher ausfindig zu machen und die Restbestände durch Feuer zu vernichten, denn Bücher, so weit der klassisch bildungsbürgerliche Topos, gefährden die Gesellschaft. Selbstständiges Denken gilt als gefährlich, da es zu antisozialem Verhalten führt und die Gesellschaft destabilisiert. Die Gesellschaft wiederum ist bei Bradbury eine, die in einer selbst gewählten Unmündigkeit, also in einer Diktatur lebt.

Guter alter Stoff also, durchaus mit Möglichkeiten, ihn aufs digitale 21. Jahrhundert umzumünzen: Heutzutage verschwinden die Bücher anders, nämlich ins Digitale, die Buchkultur als solche ist längst dem Untergang geweiht. Dass der Stoff taugt, dachte sich auch Alexander Simon, Schauspieler und Professor an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“.

Im Auftrag des Berliner Ensem­bles hat er jetzt zusammen mit seinen Schau­spiel­schü­le­r*innen eine neue Bühnenfassung des SciFi-Klassikers erstellt, die am heutigen Donnerstag auf der Bühne des BE Premiere feiert. (Die Premiere ist zwar bereits ausverkauft, es gibt aber zahlreiche Folgetermine).

Neun junge Menschen werden also die selbst gewählte Diktatur nachspielen, in der Bücher eine Gefahr darstellen. Wer denkt da nicht auch automatisch an die Bücherverbrennung vom Mai 1933? Und wer denkt bei dem Satz „Denken wir uns eine Gesellschaft, in der (…) die Selbstzensur mündige Bürger*innen zu schweigenden Mitläufer*innen ummontiert hat“ (aus der Ankündigung des Stücks auf der Webseite des Berliner Ensembles) nicht an aktuelle Diskurse sowohl von rechts wie von links? Wobei es Simon und seinem Ensemble, so viel sei verraten, weniger um alte ideologische Gefechte geht, sondern mehr um die Auslotung einer anderen Gegenwart.

Alexander Simon, 52, betont im vorab telefonisch geführten Interview, dass er mit dem Stück eher eine „psychologische Ausrichtung“ verfolgt und der Frage nachgehen möchte, was eine „bücherlose Gesellschaft“ in Zeiten von sozialen Netzwerken und Online-Datingportalen bedeutet. Was ist die Feuer­wehr? Wie leben wir jetzt? Wie ist es, wenn das – kollektive, subjekte, je nachdem – Gedächtnis verschwindet, weil es sukzessive ausgelöscht wird? Es kann dann kein Erinnern mehr geben, sagt Simon, keine Geschichte.

Mit der Demokratie im Theater, das räumt Simon mit seiner ganzen Erfahrung ein, ist das bekanntlich so eine Sache. Trotzdem versucht das Ensemble, im Stück einen kindlichen Zugang zu verfolgen, wenn sie etwa die Seitenwischbewegungen, wie sie von Tinder bekannt sind, auf der Bühne nachstellen und möglichst gleichberechtigt in die jeweiligen Rollen schlüpfen.

Aber zurück zum Stoff. Worum geht es noch mal? Guy Montag, ein „Jedermann“ aus der spießigen Vorstadthölle, ist Feuerwehrmann und legt Brände, mit der Mission, die Welt von Büchern zu befreien – bis ein kleines Mädchen ihm eines Tages die Augen öffnet. Daraufhin wechselt Montag die Seiten – und rettet die Bücher, statt sie zu verbrennen, und: liest sie.

Die Unterschiede zwischen Buch und Film sind dabei relativ marginal; Truffaut hat damals das Mädchen durch eine erwachsene Lehrerin ersetzt, vielleicht auch, um etwas von der märchenhafte Note aus dem Spiel zu nehmen. Witzig ist, dass es in Bradburys Dystopie weniger um Faschismus und die Diktatur gegangen ist, sondern tatsächlich mehr um die Menschen selbst, die sich durch steigenden Medienkonsum zu willenlosen Mitläufern entwickelt haben.

Als Konkurrenz, also als Gefahr für die Welt der Literatur, sah Bradbury damals somit recht kulturpessimistisch das Fernsehen. Dem folgte unter anderem der Medienwissenschaftler Neil Postman mit seinem Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ (1988). Heutzutage, das haben Alexander Simon und seine Truppe am BE erkannt, liegen die Gefahren für eine aufgeklärte Gesellschaft möglicherweise ganz woanders – nämlich im Netz.

Das ist natürlich eine streitbare These; aber vielleicht auch eine, die durch die gegenwärtigen Regressionen ins Autoritäre befeuert wird. Interessant wird also sein, was die heranwachsende „Jugend“ dazu auf die Bühne stellt. Es ist davon auszugehen, dass Wischen oder Swipen nicht nur schlecht gefunden wird.

Pyromaniker können allerdings trotzdem getrost zu Hause bleiben. Das große Feuer wird am Berliner Ensemble nicht entzündet (und das ist – denke man an den altehrwürdig-schönen Theatersaal im großen Haus – auch gut so). Allerhöchstens das in den Herzen und Hirnen der Schauspielenden. Und bestenfalls der unten im Publikum sitzenden.

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