„Marc auf Plastiktüten ist auch nicht würdiger“

MARKETING In der Kunsthalle Emden können sich Besucher jetzt Motive aus Künstlerbildern eintätowieren lassen. Museumspädagogin Claudia Ohmert über das Werben um Publikum und die teils schwierige Klärung von Bildrechten

■ 41, Malerin, Medienkünstlerin und Kulturpädagogin, leitet seit September 2000 die Museumspädagogik der Kunsthalle Emden. Zuvor freiberufliche Künstlerin.

taz: Frau Ohmert, ist Ihre Tätowier-Aktion eine Verzweiflungstat?

Claudia Ohmert: Keine Verzweiflungstat, aber natürlich steckt hinter der Aktion der Wunsch, auf die Lebenswirklichkeit der Menschen einzugehen – anstatt zu warten, dass die Menschen von sich aus ins Museum kommen. Und da haben wir überlegt, was interessiert die Menschen außerhalb unseres geschlossenen Museumsraums.

Wollen denn wirklich 90 Prozent der jungen Leute Tattoos?

Nein. Aber bestimmt interessiert es sie. Ich glaube, dass Tätowierungen mitten im Leben angekommen sind – man muss sich nur Fußball-Weltmeisterschaft und Olympiade angucken, wo ja etliche tätowiert sind. Das Tattoo ist jedenfalls etwas, das junge Menschen deutlich mehr interessiert als das Museum.

Woher wissen Sie das?

Nur fünf Prozent unserer Besucher sind zwischen 18 und 30 Jahre alt. Wobei das Tattoo natürlich nur einen Teil der jungen Menschen anspricht.

Sind Sie sicher, dass die Tattoo-Kunden zu Dauerbesuchern werden?

Über den einen Tag kann man eine Tür öffnen. Von den Leuten, die sagen, das guck ich mir mal an, werden sicher nicht 90 Prozent dauerhafte Museumsgänger. Aber ich glaube, dass es oft reicht, eine Tür zu öffnen, damit die Leute kommen und bemerken: Museum könnte mich interessieren. Und beim Rundgang durch die kleine Ausstellung, die zu den Tattoos gehört, werden sie hoffentlich bemerken, dass dieser Ort spannende Blicke zu geben hat.

Aber nicht mal die Hamburger Museumsnacht hat Dauerbesucher gebracht, sagen die dortigen Direktoren.

Wir Museumspädagogen können immer nur punktuelle Aktionen für ein bestimmtes Segment machen – mal sind es Tattoos, mal eine Ausstellungsgestaltung mit Kindern, mal eine mit Studenten. Natürlich generiert man mit einer Aktion kein dauerhaftes Publikum, aber es ist eine Hoffnung: Wenn sie einmal hier waren, kommen sie vielleicht wieder.

Können die Leute sich bei Ihnen aussuchen, was sie sich tätowieren lassen?

Leider nein. Die Motive – die Tattoo-Künstlerin Zoe Thorne wollte Porträts oder Tiere und hat sich dann für Tiere entschieden – haben wir im Vorhinein ausgewählt.

Warum?

Weil wir uns die Bildrechte beschaffen müssen. Denn sobald wir mit einem Bild an die Öffentlichkeit gehen, müssen wir über die VG Bildkunst oder über den Künstler selbst den Rechteinhaber ermitteln und fragen, ob wir es vervielfältigen dürfen. Das wollten nicht alle.

Und welche Motive sind es nun geworden?

Kohlezeichnungen von Miriam Cahn, eine Tuschezeichnung von Alfred Kremer, eine Tonfigur von Lothar Fischer und Franz Marcs „Blaue Fohlen“.

Die dann originalgetreu tätowiert werden?

Nicht ganz. Zoe Thorne hat Entwürfe gemacht, in denen sie die Motive herauslöst und leicht verändert. Im Detail klärt sie das mit dem Kunden vor Ort. Der überlegt sich dann, welches Setting er haben will.

Wie lange dauert so etwas?

Pro Person haben wir zwei Stunden angesetzt. Das reicht, um ein handflächengroßes Tattoo knapp zu schaffen.

Und was kostet das?

Wir nehmen die marktüblichen Preise. Von Verführung zum Tattoo kann also keine Rede sein. Außerdem hat Zoe Thorne gesagt, sie werde einer 18-Jährigen, die die Tragweite nicht überblicken kann, definitiv kein Tattoo auf den Hals machen.

Wie viele Interessenten haben sich schon gemeldet?

Von 20, 25 Interessenten sind drei übrig geblieben. Zwei wollen Miriam-Kahn-Motive und einer Marcs „Blaue Fohlen“.

Hatten Sie mit mehr gerechnet?

Nein. Außerdem gibt es ja noch die zugehörige Kabinettsausstellung. Da kommen vielleicht mehr.

Kann man sich auch spontan für ein Tattoo entscheiden?

Ja. Es will sich zwar auch noch eine Kollegin tätowieren lassen, und dann wären es vier Kandidaten. Es sind aber trotzdem noch Termine frei.

Letztlich ist das alles aber eine Instrumentalisierung der Kunst für die PR. Ist das nicht unwürdig – ein Marc auf dem Fußgelenk?

Finde ich nicht. Natürlich haben alle museumspädagogischen Aktionen einen Marketing-Aspekt. Aber ein Marc in 1.000-facher Variation auf Plastiktüten ist auch nicht viel würdiger. INTERVIEW: PS

Zoe Thorne tätowiert: 24., 25. und 26. 8., Kunsthalle Emden