heute in hamburg
: „Ab dem ersten Tag ohne Obdach“

Vortrag: Obdach- und Wohnungslosenhilfeuntersuchung 2018. Ergebnisse und Konsequenzen: 18 Uhr, Uni Hamburg, Raum 221, Edmund-Siemers-Allee 1

Interview Thilo Adam

taz: Herr Helfrich, was macht die Stadt bei der Betreuung von Obdachlosen falsch?

Martin Helfrich: Wir haben zwar relativ viele Straßensozialarbeiter in der Stadt, es gibt aber keine systematische Planung: Wir wissen nicht genau, wer für was oder wen zuständig ist. Es kann also sein, dass es etwa im Innenstadtraum eine Ballung gibt und andere Orte außen vor bleiben. Da wollen wir alle Helfer in Zukunft besser vernetzen und koordinieren, um möglichst viele aufsuchend zu erreichen.

Die Zahl der Wohnungs- und Obdachlosen hat sich von 2009 bis 2018 beinahe verdoppelt, auf knapp 2.000 Menschen. Welche Konsequenzen zieht die Stadt daraus?

Insgesamt ist die Zahl zwar angestiegen, wir führen das aber vor allem auf Migrationseffekte zurück, auf Menschen, die hier beispielsweise auf der Suche nach Arbeit ankommen und ab dem ersten Tag ohne Obdach sind. Der Anteil der deutschen Staatsangehörigen, die hier in die Obdachlosigkeit geraten sind, ist deutlich zurückgegangen. Das heißt aber auch, dass man die Hilfsangebote an die große Gruppe neuer Bedürftiger anpassen muss.

Und wie wollen Sie das machen?

Wir müssen alle Angebote beispielsweise in anderen Sprachen vorhalten. Dazu kommt: Wer in Deutschland keine Ansprüche auf Sozialhilfe hat, hat die aber vielleicht im jeweiligen Herkunftsland. Da haben wir mittlerweile Online-Tools in unseren Einrichtungen und können direkt bei der Beantragung helfen. In einer Metropole ist Obdachlosigkeit womöglich niemals ganz zu vermeiden. Wir können aber dafür sorgen, dass alle deutlich flüssiger im Hilfssystem ankommen.

Was würden Sie ohne Ehrenamtliche tun?

Foto: Sozialbehörde

Martin Helfrich, 27, ist Pressesprecher der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration.

Das System ist ja ganz bewusst so aufgestellt, dass nicht nur der Staat direkt agiert. Behörden haben auf manche Menschen in bestimmten Situationen eine abschreckende Wirkung. Deswegen finanziert die Stadt beispielsweise die Arbeit freier Träger. Sie leisten einen wichtigen Beitrag.

Wie halten Sie es selbst, wenn Sie Obdachlosen auf der Straße begegnen: Spenden oder weitergehen?

Manche sagen: Gebt Geld, die Menschen werden schon wissen, wozu sie es einsetzen. Andere rufen dazu auf, Lebensmittel oder warme Getränke bereitzustellen. Die Caritas hat es vor Weihnachten nochmal so formuliert: Geben Sie vor allem Aufmerksamkeit. Gerade bei obdachlosen Menschen ist es wichtig, in Notlagen aktiv zu sein und sich nicht abzuwenden.