Freddies Idee von Pop

POP-MIGRANTEN Umlala sind von Israel nach Berlin gezogen und haben wilde Harmoniewechsel und hyperventilierende Melodien mitgebracht

Wenn das so weitergeht, ist Israel bald leer. Nun haben schon wieder fünf junge Männer ihrer Heimat den Rücken gekehrt und sind nach Berlin gezogen. Von hier aus wollen Josef Laimon, Orel Tamuz, Yuval Goren, Nir Yatzkan und Imro Blau die Welt erobern. Oder, für den Anfang, zumindest mal den europäischen Markt. Denn die fünf haben vor drei Jahren eine Band gegründet, die Umlala heißt. Man hatte sich zu Hause in Jerusalem bereits einen gehörigen Status als Pophoffnung erspielt und merkte dann, dass es in Israel, wo es eigentlich nur drei Städte gibt, in denen man auftreten kann, nicht so recht weiterging.

Mitgebracht haben Umlala ihr erstes Album, „Stand Go Show Shout“, das in Israel bereits im vergangenen August erschienen ist und hier nun noch einmal wiederveröffentlicht wurde. Auf dem spielt sich das Quintett quer durch viele, vielleicht sogar zu viele verschiedene Stile. Freddie Mercurys theatralische Idee von Pop ist darauf ebenso zu hören wie die trockenen Riffs des britischen Indie-Pop, ein paar Rap-Einlagen ebenso wie die breitflächigen Gitarren des US-Mainstream, piepsige Synthie-Melodien oder melancholisches Cello. Die Stimmung ist oft aufgeräumt, manchmal hysterisch, selten gedämpft. Den hektischen Eindruck verstärken Umlala noch dadurch, dass sie immer mal wieder einen abrupten Rhythmuswechsel einstreuen.

„Stand Go Show Shout“ klingt also nach allerhand und allem und bisweilen sogar nach ADHS, aber nach einem ganz bestimmt nicht: nach israelischen Klischees. Warum auch: Ofra Haza ist nun schon seit zwölf Jahren tot und Dana International nur mehr als Schwulenikone von Bedeutung. Stattdessen gibt es in Israel längst eine fidele Popmusikszene, die vom Dubstep-DJ über den Gangsta Rapper bis zur Deathcore-Metalband nahezu alle internationalen Standards bedient, ohne sich ausdrücklich auf jiddische oder arabische Wurzeln zu berufen. Dass Umlala-Sänger Laimon in Interviews nun verkündet, man sei in Israel ganz allein gewesen, muss man wohl übersetzen als Versuch, sich selbst die Aura der Einzigartigkeit zu verschaffen.

So gesehen repräsentieren Umlala das moderne Israel, einen Vielvölkerstaat, der ständig neue Immigranten integriert, mal besser, mal schlechter. Selbst dass es dabei zu Disharmonien kommt, die in ihrer Heimat zu einer lustvoll gepflegten Streitkultur führt, kann man, wenn man will, hören in den Songs von Umlala: Die sind zwar anstrengend, aber dafür immer spannend und werden bei Bedarf auch noch mit Streichern und Bläsern zusätzlich aufgemotzt.

Dazu passt ganz gut, dass Sänger Josef Laimon sich nicht in Hebräisch, sondern in englischer Sprache durch die üblichen Themen, die einen jungen Menschen beschäftigen, singt und ruft und quengelt: In einem Song fragt er sich, wie man ein PDF in einen JPG umwandelt. In einem anderen, ob er sich ein blaues T-Shirt kaufen soll. Tatsächlich sind die Texte eher kryptisch, ein nur notdürftig in Form gebrachter Bewusstseinsstrom, in dem Selbstmordgedanken ungerührt neben kindischen Reimen stehen. Laimon selbst sagt, er schreibe einfach auf, was ihm so durch den Kopf gehe, also „Nonsens und Selbstkritik, grundiert mit seltsamem Humor und natürlicher Traurigkeit“. Das Ergebnis taugt allerdings weniger dazu, die israelische Gesellschaft verstehen zu können, als die wild wechselnden Harmonien und hyperventilierenden Melodien. Aber dazu, ihr Heimatland in der Fremde zu erklären, sind die auf einem Bandfoto miteinander knutschenden Umlala nicht nach Berlin gekommen.

THOMAS WINKLER

■ Umlala live mit Thee Nathaniel Fregoso and The Bountiful Hearts heute, 22 Uhr, im White Trash