Uli Hannemann Liebling der Massen
: Rauschhaftes Glück,heute war ein guter Tag

Was für eine Schnapsidee, diese Breitengrade auch im Winter zu besiedeln, denke ich, man steckt doch auch keine lebenden Tiere in den Kühlschrank oder nagelt sie ans Kellerregal. Sonne und Mond lassen sich um diese Jahreszeit im Grunde nicht mehr voneinander unterscheiden. Wenn das hier draußen das Tageslicht sein soll, will ich dem Nachtlicht aber nicht im Dunkeln begegnen.

Ich bin mal eben rausgegangen. In den „Park“, wenn man diese düstere Hölle aus nassem Laub, toten Bäumen und anderen schlecht gelaunten Arschlöchern überhaupt so nennen möchte. Das wird ja gern empfohlen, damit man an den kürzesten Tagen des Jahres wenigstens ein bisschen besser draufkommt. Nicht umsonst gilt Bewegung an frischer Luft bei Suchtkrankheiten und auch Depressionen als zentraler Therapiebestandteil. Doch sofort fragt man sich: Was mache ich bloß hier? Und ist man nur zehn Minuten triefenden Auges durch die sterbende Welt gestiefelt, will man eigentlich nichts wie ab zurück nach Hause. Heimlich weinen. Unheimlich essen. Ganz viel fernsehen. Vielleicht läuft ja auf phoenix eine Doku über das sonnige Costa Rica.

Zu Hause steht jetzt eine Tageslichtlampe – noch so eine Empfehlung der angeblichen Winter-Survival-Profis. Mit großen Hoffnungen habe ich sie gekauft und aufgestellt. Nun steht sie da, ein Leuchtturm meiner Enttäuschung, und ich werde mit jeder Sekunde trauriger, die ich in das grelle kalte Licht hineinblinzle.

Vom gleichen Kaliber ist auch Vitamin D. Praktisch alle Leute sagen: Nimm das jeden Tag, mindestens von Oktober bis März; das ist das absolute Zaubermittel, da geht es dir gleich besser.

Ich pfeife mir also das Zeug rein und warte auf die Wirkung wie bei einem Haschkeks. Darauf, dass – bamm! – auf der Stelle rauschhaftes Glück Einzug hält: ein Rieseneisbecher mit Schokostreuseln und Heroin bestreut; ein Augenflirt im Gang vor der Fleischabteilung des Biosupermarkts; eine frische Brise, die die Mähne meines Lieblingsponys Sternenfee zaust, während wir auf die Kalkklippen zutraben, hinter denen wie Feuer der Horizont erglüht; vor allem jedoch das erste, schnell getrunkene halbe Bier, das an einem grauenhaft verschissenen Dezembertag heilend ins Blut schießt.

Denn mit Abstand am besten hilft erfahrungsgemäß der Alkohol. Good old Sorgensprit, der Klassiker schlechthin. Ein so schlichtes wie hochwirksames Rezept, bewährt seit Tausenden von Jahren und zuverlässig wie Benzin. Oben schüttet man es in den Tankstutzen und schon brummt der Motor wieder getröstet vor sich hin. Doch das ist leider nur geliehener Trost, den man am nächsten Tag auf Heller und Pfennig zurückzahlen muss, und damit nicht genug, werden obendrein noch Zinsen fällig. Plus ­Verzweiflungsabgabe, Katerzulage und Dummheitssteuer – wirklich ein selten schlechter Deal.

Das hindert einen nicht im Geringsten daran, am nächsten Abend erneut begierig nach dem brennenden Strohhalm zu greifen, wie so ein schwachsinniges Meerschweinchen, das ein Biologe vergeblich mit Stromschlägen und Futter auf ein erwünschtes Verhalten hin zu konditionieren versucht. Denn zu verlockend ist die Aussicht auf vorübergehende Linderung der Not um jeden Preis. Dafür würde man sogar seine Seele an den Teufel verkaufen, hätte man das damit nicht schon längst getan.

Auf das Vitamin D hofft man jedenfalls vergeblich. Doch so schlimm dieser Tag auch ist, lasst ihn uns in vollen Zügen genießen. Denn es gibt eine gute Nachricht, zumindest was den heutigen Tag im Nachhinein betrifft: Der morgige wird noch viel schlimmer. Noch dunkler, noch grauer, noch auswegloser. Darauf einen Underberg.