Die Sicht der Leser

Jutta Ditfurth schrieb am 6. 10. 2009 in der taz über Ulrike Meinhof, die am Mittwoch 75 Jahre alt geworden wäre: „Suggestive Metaphern“

Meinhof hatte die Wahl

■ Von symphatisant:

Dank an Jutta Ditfurth, dass sie sich die Arbeit gemacht hat!

Ulrike Meinhof hatte die Wahl und sie hatte sich entschieden. Sie bezahlte ihren persönlichen Versuch der Weltverbesserung mit ihrem Leben. Diese Biografie mag man so würdigen oder so, aber man muss sie hinsichtlich ihres Gehalts an Menschenwürde respektieren, alles andere ist unehrenhaft.

Von dem v. Stauffenberg oder von den Geschwister Scholl würde kein Mensch im Nachhinein eine allgültige Rechtfertigung dafür verlangen, dass auch Unschuldige durch ihr Tun ums Leben kamen oder hätten kommen können. Die Umstände des Weltverbesserns führen den einen zum Schafott und den anderen zum Verdienstkreuz. Aus dem einen wird ein Diktator, aus dem Nächsten ein Verräter, aus dem Dritten ein Philosoph und aus dem Letzten ein Irrer. Es wäre zu schön, könnte man das vorher schon wissen.

Brillante Journalistin

■ Von Schmidt:

Ulrike Meinhof war eine brillante Journalistin und hätte es bleiben sollen. Ich will mir lieber nicht vorstellen, was in unserem Land passiert wäre, wenn die RAF ihren schwachsinnigen Krieg gewonnen hätte: Gulags, Massenmorde, Hungersnöte wären die Konsequenz gewesen, Faschismus pur. Ich habe den Eindruck, Jutta Ditfurth überträgt ihre eigenen Frustrationen auf die tragische Figur Meinhof.

Unsäglich trivial

■ Von Brandstein:

Das darf doch nicht wahr sein! In der taz wird im Jahr 2009 eine kaltblütige Mörderin und Terroristin von Jutta Ditfurth als „selbstbewusste, politisch denkende Frau“ definiert. Was bitte soll dieser unsäglich triviale Revolutionsdünnsinn? Es ist völlig unerheblich, ob Meinhof aus sexueller Frustration gemordet hat oder aus moralischer Selbstgerechtigkeit. Hagiografien von veritablen Mördern sind ein echter Grund, ein anderes Blatt zu kaufen!

Es friert mich

■ Von Gockeline:

Selber habe ich mit Jutta Ditfurth meine Probleme. Sie hat wie viele dieser Frauen etwas Fanatisches an sich. Der Artikel ist jedoch sehr gut und überzeugend. Es zeigt auch, wie Männer ticken in ihrem Denken, dabei ein anderes Bild zeichnen von der Realität. Egal wie Ulrike Meinhof dachte oder sah, es hatte immer etwas fanatisches einseitiges Denken, das zerstörerisch wirkte. Man ändert nicht die Gesellschaft durch solchen Druck bis hin zum Mord und Selbstmord. Wenn ich mir die Bilder und Filme aus der Zeit anschaue, friert es mich.

Toller Artikel

■ Von Marius:

Toller Artikel, der endlich aufräumt mit den vielen Verleumdungen und Vorurteilen und der die Person Meinhofs objektiv und unabhängig betrachtet. taz, bitte mehr davon!

Pawlowsche Reflexe

■ Von Peter Alexa

Schon die Erwähnung des Namens von Ulrike Meinhof löst in der Öffentlichkeit eine Art pawlowschen Reflex aus. Da kommt eine irrationale Wut hoch und ein fast schon pathologischer Hass zum Vorschein, als hätte Ulrike Meinhof die selbstgepflanzten Blautannen in den Reihenhausgärten ihrer Kritiker persönlich gefällt und damit ihre bürgerliche Idylle demontiert.

Zu befürchten steht, dass Jutta Ditfurths fleißige Recherche und die Dokumente, die sie dabei zutage förderte, genauso ignoriert werden wie alle Tatsachen, die nicht einer konditionierten Öffentlichkeit und veröffentlichten Meinung gerecht werden.

Während diese „Kritiker“ bei Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin aufgrund ihrer sozialen Herkunft noch so etwas wie einen gemeinsamen Stallgeruch zu wittern meinen und sich wahrscheinlich wirklich nichts anderes vorstellen können, als dass diese Art von Klassenverrat nur durch Hörigkeit, Verführung und fehlgeleiteten Idealismus zustande kommen kann, ist Andreas Baader für sie die Inkarnation des Mobs, der direkt aus der Hölle gekrochen kam.

Malcolm X hat mal den Unterschied zwischen einem Haussklaven und einem Feldsklaven beschrieben. „ Wenn das Herrenhaus brennt, hilft der Haussklave eifrig mit beim Löschen, während der Feldsklave darum betet, dass Wind aufkommt und den Brand weiter entfacht.“ Sicher noch kein Widerstand, aber bestimmt die richtige Art zu denken.

Was das mit Andreas Baader zu tun hat? Er hat die Bude angesteckt und bei jeder sich bietenden Gelegenheit noch einen Eimer Benzin hinterhergeschüttet und, vielleicht am unverzeihlichsten, er hat sich am Feuerschein erfreut und gesagt, dass man das Wesen des Menschen, was ihn wirklich ausmacht, nur in diesem Feuerschein erkennen kann.

Wenn Menschen 30 Jahre nach ihrem Tod immer noch mit einem dermaßen pathologischen Hass verfolgt werden und als Projektionsfläche für alles dienen, was diesem Staat, seinen Eliten und Repräsentanten Angst macht, müssen sie wirklich eine Saite zum Klingen gebracht haben, die den Herrschenden noch als Tinnitus im Ohr summt und sie daran erinnert, nicht unverwundbar zu sein. Genau diese Angst ist auch die Essenz einer verlogenen Moraldebatte, bei der sich diejenigen am meisten hervortun, die sich bei der Beurteilung jedes aktuellen und geschichtlichen Verbrechens gegen Menschen auffällig bedeckt halten. Was die herrschende Empörung auslöst, sind nicht die Toten. Die über 130 von Neonazis begangenen Morde nach der sogenannten Wiedervereinigung haben nicht mal für Schlafstörungen gesorgt, sondern die Tatsache, dass die herrschenden Eliten dieses Landes das erste Mal in der Geschichte des letzten Jahrhunderts in die Mündung der Waffen schauen mussten, die sie bis dahin anderen ins Genick gehalten haben.

Da sind sie wie Elefanten und vergessen nichts.

An der sozialen Realität vorbei

■ Von Spin:

Gut so, Frau Ditfurth, den medial verdrehten Unsinn über alles radikal Linke, über 68, RAF und so weiter. Und die damit verbundene Heiligsprechung der bürgerlichen Gesellschaft verdient Widerspruch und Richtigstellung.

Allerdings müssen auch die alten Fehleinschätzungen der Bewegung(en) schonungslos kritisiert werden, wie sie, noch unbewertet, in diesem Text aufscheinen, wenn es etwa – nach einer Aufzählung von persönlichen und politischen Niederlagen und Rückschlägen – heißt: „Ulrike Meinhof sah sich in einer Sackgasse, sie diskutierte mit Freunden über den bewaffneten Kampf. Die BRD schien ihr in einem vorrevolutionären Zustand, den eine militante ‚Avantgarde‘, die RAF, zuzuspitzen hatte.“

Die Rückschläge wurden demnach nicht als vorläufige Unmöglichkeit radikalen Wandels gedeutet, sondern als Aufforderung, Revolution notfalls auch ohne oder gegen das Volk zu machen. Das ging an der sozialen Realität genauso vorbei wie die Strategien leninistischer Sektierer und später der Autonomen. Schade, Strategie war nie Stärke der radikalen Linken.

Projektionsfläche für Autoren

■ Von Thomas:

1. Die historische Betrachtung von Personen kann immer nur zu einem kleinen Teil deren Persönlichkeit abbilden, der große Rest entsteht im Kopf der Betrachters. Darum ist jede historische Betrachtung viel mehr Zeugnis über das „Jetzt“ als über das „Damals“. Insofern hat Frau Ditfurth sicherlich zumindest teilweise recht, dass nämlich keine Biografie der wahren Ulrike Meinhof (oder einer beliebigen anderen Person) gerecht werden kann.

Eine Biografie ist immer gleichzeitig auch Projektionsfläche für den Autoren wie auch den Leser.Und da wir nicht in den Kopf anderer Personen schauen können, müssen wir zwangsläufig auf Mythen und Metaphern ausweichen, um zumindest den Versuch zu unternehmen, eine Persönlichkeit für den Einzelnen erfahrbar zu machen. Hier hat Frau Ditfurth keine andere Wahl, als zu den selben, unvollkommenen Methoden zu greifen wie alle Biografen vor ihr. Dennoch wirft Sie den Standardquellen vor, vergiftet zu sein, ohne dies überzeugend darlegen zu können. Aus einer persönlichen Antipathie gegenüber den betreffenden Personen kann man noch lange nicht Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der von ihnen gemachten Aussagen schließen.

Gleichzeitig aber erscheint ihr Meinhof-Bild genauso von ihrer Weltanschauung getrübt zu sein, wie sie dies Riemeck und Röhl vorwirft. Frau Ditfurths Bild ist nicht weniger suggestiv. Dabei ist eines klar: Die Wahrheit über Ulrike Meinhof ist mit ihrem Tod für immer verschollen. Für die Nachwelt bleiben nur Fakten (was hat sie gesagt/getan) und deren Interpretation (warum hat sie es gesagt/getan). Frau Ditfurth behauptet, dass ihre Interpretation die einzig wahre sei. Dies jedoch wage ich anzuzweifeln, es ist lediglich eine alternative Interpretation, die mindestens von den Überzeugungen der Autorin und dem aktuellen Zeitgeist herrühren, wie dies auch bei früheren Interpretationen der Fall war. Es sind schlicht verschiedene Versuche, dieselben Handlungen einer Terroristin durch unterschiedliche Mythen und Metaphern für die Nachwelt begreifbar zu machen. Eine absolute Wahrheit hat dabei sicherlich keiner gepachtet.

2. Zwar stimme ich Frau Ditfurth nicht zu, dass Stefan Aust aus Ulrike Meinhof nur ein Opfer der RAF zu machen versucht, gleichzeitig wirft diese Formulierung auch eine Frage auf. Denn wenn sie nur von vorangegangenen Biografen zum Opfer gemacht wurde, in Wahrheit aber keines war, dann kann sie nur verklärte Täterin gewesen sein, die für den Tod von vielen Menschen voll verantwortlich war. Warum also sollte sich irgendjemand mit solch einem Menschen politisch auseinandersetzen? Solch eine politische Einstellung sollte sich doch wohl von allein disqualifizieren.

Sagt die Lippe von Gedeck mehr?

■ Von Stefan:

Wie entstanden die menschenverachtenden Allmachtsfantasien der RAF? Wie wird man dem, was man bekämpft, ähnlicher, als einem lieb ist? Eventuell durch eigene Ohnmachtserlebnisse in einer verlogenen, verdeckt faschistischen Familie? Wie landet man in sektenähnlichen Gruppen wie der RAF? Lieber wütend als traurig. Vielleicht aus Unkenntnis, wie viel tiefe Trauer hinter jeder Wut steht? Vielleicht sagt die Lippe von Gedeck viel mehr als Ditfurths Buch? Das mag jeder selber entscheiden.

Die oberflächlichen, politischen Erklärungen aus der radikalen Linken reichen mir bei weitem nicht. Bei weitem nicht. Sie dienen höchstens der Selbstbeschönigung und machen aus Morden „politische Freiheitskämpferaktionen“

Ditfurths momentane Weltsicht

■ Von K. Langelotz:

Alle anderen sind blind oder wollen die Wahrheit nicht sehen/finden, bis Frau Ditfurth kommt und uns alle erhellt. Klingt mir immer etwas einfach, aber mit diesem Gut-böse-Schema lässt sich ja bekanntlich gut leben und Kritiker muss mann/frau dann auch nicht ernst nehmen – schön, die Wahrheit gepachtet zu haben.

Hätte es nicht gereicht, Frau von Ditfurth eine Viertelseite einzuräumen, das hätte bestimmt gereicht, dem interessierten Leser einen Eindruck von ihrer momentanen Weltsicht zu vermitteln.

Der Mensch, der sie war

■ Von grafinger:

„Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine. Wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, kein Mensch. Und so haben wir uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden. Und natürlich kann geschossen werden.“ (U. Meinhof in einem Interview mit Michèle Ray)

Das, liebe Jutta, ist der Mensch, der sie war. Menschenverachtend. Da kannst du schreiben, was du willst.

Schöner Artikel, mehr davon

■ Von mittiger:

hey, schöner artikel, auch wenn ich in der thematik nicht so bewandert bin und auch den film nicht gesehen habe, es ist immer gut, dinge in der vergangenheit ganzheitlich aufzuarbeiten, es fehlt an artikeln, die sich mit den APO-nahen strukturen und den psychopathologisch-soziologischen folgen der neuen generation in der nachkriegsära befassen. mehr davon.