Zum Treiber werden

Wat mutt? Dat mutt! (3) In unserer Serie zwischen den Jahren verraten AkteurInnen der Zivilgesellschaft, was 2020 wichtig wird. Heute: Grünen-Chefin Alexandra Werwath

Alexandra Werwath, 26, wurde 2017 erstmals zur Landessprecherin der Bremer Grünen gewählt Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

VonAlexandra Werwath

Vor 40 Jahren wurde der Bremer Landesverband der Grünen gegründet. Als ich Anfang der 90er-Jahre geboren wurde, versuchte sich die Partei erstmals an der Übernahme politischer Verantwortung. Jetzt ist meine Partei in einem Alter angekommen, in dem wir mit beiden Beinen fest im Leben stehen. Noch nie waren grüne Haltungen so breit in der Gesellschaft verankert wie heute. Wir stehen kurz davor, die Marke von 100.000 Mitgliedern bundesweit zu knacken – so viele wie noch nie. „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.“ Dieser Satz stammt von einem Wahlplakat der Grünen von 1983 und schwebt seitdem über der gesamten Partei. Er steht für Weitblick sowie Verantwortung für kommende Generationen und bildet so die Klammer für unser politisches Handeln.

Diese Überschrift hat in den vergangenen zwölf Monaten ein großes Comeback erlebt und ist zum Auftrag für die gesamte Politik geworden. Die Klimakatastrophe ist das beherrschende Thema der gegenwärtigen Debatte. Leider müssen wir dabei beobachten, wie sich die aktuelle Bundesregierung der Verantwortung entzieht. Zugleich ist das Thema grüne DNA und verpflichtet uns, zum Antreiber der neuen rot-grün-roten Koalition in Bremen zu werden. Der Druck auf dieses Regierungsbündnis ist enorm, nicht nur weil es das erste dieser Art in einem westdeutschen Bundesland ist, sondern vor allen Dingen, weil wir überzeugt sind, etwas zusammen reißen zu können. Wir müssen ja! Als Treiber dieses Zusammenschlusses wollen wir mehr, als nur in einem protestantischen Arbeitsethos den Koalitionsvertrag abzuarbeiten. In der aktuellen Situation verschafft uns die Auseinandersetzung um mehr Klimaschutz einen strategischen Vorteil. Darauf gibt es aber keine Ewigkeitsgarantie.

Viele Menschen trauen den Grünen heute zu, die wesentlichen Antworten auf dringende Zukunftsfragen geben zu können. Wenn wir Treiber sein wollen, dann sollten die Grünen vor allem der Ideenmotor im Land sein. Ein Beispiel: Bremen ist ein Land voll Industrie. Wie kann der Strukturwandel bei Stahlwerk, Mercedes und Hafenwirtschaft gelingen, ohne ein zweites AG-Weser-Trauma zu erleben und dabei eine Zukunft für Klimaneutralität zu bieten? Diese Frage zu diskutieren, kann eine große Chance für Bremen sein.

Um in Bremen aber mit neuen Ideen überzeugen zu können, kann man sie nicht einfach nur beschließen. Die Bremer*innen sind kritische Menschen in einer hochpolitisierten Stadtgesellschaft – und das ist gut so. Das bedeutet, dass wir Grüne stärker das Gespräch mit den Bürger*innen suchen müssen, um sie von unseren Maßnahmen und Plänen, die wir für notwendig halten, zu überzeugen.

Ein solcher Dialog kann keine Einbahnstraße sein. Wir reden beispielsweise immer noch darüber, dass wir neuen Wohnraum benötigen. Deshalb schmerzt uns die Ablehnung der Wohnbebauung der Rennbahn sehr. Zu dieser aus unserer Sicht kurzsichtigen Entwicklung gehört aber auch die Selbstkritik, dass man zu schnell Pflöcke einschlagen wollte, ohne ein Bild oder eine Idee dafür liefern zu können, wie das ganze Gebiet aussehen könnte. Statt mit einem solchen positiven Bild auf der Straße zu werben, wurde begonnen, die Gegenseite für irrational zu erklären. Das darf uns nicht nochmal passieren.

Schließlich wollen wir die Klimakrise auch vor Ort mit wichtigen Maßnahmen bekämpfen. Ein wichtiger Baustein dafür ist die Verkehrswende. Wir Grüne wollen die autofreie Innenstadt. Das kann nur gelingen, wenn wir Kritik und Ängste nicht einfach nur abbügeln, sondern zuhören, aufnehmen und mit den Vorteilen ernsthaft überzeugen. Saubere Luft, freies Bewegen in der Innenstadt, mehr öffentliche kulturelle Angebote oder Platz zum Spielen: Eine gesteigerte Aufenthaltsqualität nützt auch der Wiederbelebung des Einzelhandels.

Wir wollen vor Ort einen Beitrag zur Lösung der Klimakrise leisten. Wir wollen dafür sorgen, dass jedes Kind am Ende der Grundschule lesen, schreiben und rechnen kann und das in vernünftig ausgestatteten Schulen. Gleichzeitig wollen wir, dass unsere Wirtschaft den Strukturwandel packt. Neuer bezahlbarer Wohnraum soll geschaffen und die soziale Spaltung verringert werden. Und das alles unter den Vorzeichen eines sehr eng gestrickten Haushaltes. Wir sind quasi zum Erfolg verdammt und bleiben dabei trotzdem der Realität verpflichtet.

„Wir sollten keine unerfüllbaren Sehnsüchte schüren“

Alexandra Werwath, Grüne

Der Konsolidierungskurs hat den Bremer*innen und der letzten Landesregierung viel abverlangt. Die Sehnsucht, nach zwölf harten, aber auch erfolgreichen, Jahren Konsolidierung in Bremen endlich mal wieder „richtig ordentlich“ Geld für die nötigen Zukunftsinvestitionen auszugeben, ist riesig. Es gibt die Hoffnung und die Notwendigkeit, viele Projekte in Bremen anzupacken. Wollten wir das aber sofort tun, bräuchten wir wahrscheinlich einen fünfmal größeren Haushalt. Das fällt dann aber unter die Kategorie Utopie.

So wird in Bremen die Debatte um die Schuldenbremse wieder angeheizt. Dabei werfen uns manche ein religiöses Verhältnis zu einem ausgeglichenen Haushalt vor. Selbstverständlich kann man in der Frage, ob die Schuldenbremse nötig ist, einen Dissens haben. Aber die Debatte auf diese Weise zu polemisieren und ins Reich der Irrationalität zu zerren, verringert die Spielräume für eine sachorientierte Auseinandersetzung. Wir sollten Investitionen möglich machen, aber keine unerfüllbaren Sehnsüchte schüren.

Wie gesagt: Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt. Das mahnt uns, dort zu investieren, wo wir es können, die Spielräume, die wir haben, zu nutzen und in der Haushaltspolitik auch weiter auf Nachhaltigkeit zu setzen. Es mahnt uns aber auch, vor den großen Herausforderungen nicht zurückzuschrecken und mutig zu sein. Es gibt auch viele Gründe, optimistisch zu sein. Es liegt an uns, aus den nächsten 40 Jahren etwas zu machen.