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Hamburger Szene von Kristian MeyerDie Instagramisierung des Wahlkampfes

Schon lange bevor es Instagram gab, waren schmucke Gässchen in ehemaligen Hamburger Arbeitervierteln beliebte Foto- und Videomotive. Hannes Wader verschaffte sich etwas Street Credibility durch ein Albumcover im Falkenried, Matthias Reim dasselbe in der Karolinenpassage. Die eigentlich aus Hamburg stammende 90er-Jahre-Combo Bellini schaffte es sogar, aus eben diesem kleinen verkehrsberuhigten Sträßchen eines in Rio werden zu lassen. Ein paar Wäscheleinen von Fenster zu Fenster gehängt und schon wackeln die Hintern zum Samba de Janeiro, als wär’s in der Cidade de Deus und nicht im Karolinenviertel!

In letzter Zeit aber nehmen dort nicht nur Rap-Videodrehs und Model-Fotoshootings zu. Seit die angrenzende Karolinenstraße zur hippen Fressmeile geworden ist, fühlen sich die Anwohner*innen zusehends in einem ähnlichen Belagerungszustand wie die Gallier bei Asterix und die Trabantenstadt. Nur eben nicht mit römischen Tourist*innen, sondern mit Besucher*innen aus aller Welt und anderen Stadtteilen, die sich mal kurz vor der romantischen Kulisse ablichten wollen. Ist ja auch wirklich sehr instagrammable hier.

Das muss sich auch Katharina Fegebank gedacht haben, weswegen sie dieser Tage mit einem ganzen Filmteam anrückte, offenbar um ihren neuen Wahlwerbespot zu drehen. Stilecht fuhr sie mit einem Hollandrad durch die Passage, grüne Wähler*innen mögen schließlich solche Symbole! Und warum auch nicht? Der eigentlich schwarze, aber auch ein bisschen grüne Marcus Weinberg posiert ja auch gerne mit seinem Elektroroller. Die sie begleitende Hipster-Entourage in weißen Sneakern garnierte das Ganze mit Klischee-Sprüchen in amerikanischem Fake-Akzent: „Ready when you are! Kamera set – und go!“ Fegebank schob darauf das Hollandrad und brachte ihre Botschaft: „Wir wollen faire und gerechte Chancen.“ [Kunstpause] „Für alle!“

Es bot sich also eine Melange dar aus Instagramisierung des Wahlkampfes einerseits – und einer Anbiederung an eine eigentlich nicht mehr vorhandene Arbeiter*innenromantik andererseits, die mich einigermaßen befremdete. Sah wohl auch meine Nachbarin (alleinerziehend, bringt sich und ihre beiden Kinder mit einem Job im Blumenladen durch) ähnlich und schimpfte später über die Fegebank: „Die reiche Schnepfe! Labert von Gerechtigkeit! Ausgerechnet hier? Wo fast nur noch Lehrerinnen, Ärzte und Journalisten leben? Sorry, nix gegen dich, aber du weißt, was ich meine?“ Ja. Weiß ich.

Am späten Abend war dann alles wieder beim Alten im gallischen Dorf. Leichter Nebel hatte sich über die Passage gesenkt. Und am graffitibesprühten Torbogen rappte ein junger Mann mit weißem Käppi und weißer Jacke, während seine Kumpels ihn filmten. Nicht mit teurem Equipment, sondern mit dem Handy. Später beim Schneiden noch einen Vintage-Filter drauf, dann wirkt das schön professionell unprofessionell. Abgerundet wurde die Szene von einem Altpunk, der die Rapbeats wohl nicht ganz so gut fand, weswegen er immer wieder arhythmisch aus seinem Fenster herunterbellte: „Schai-ßöö! Schai-ßööö!“ Street Credibility halt.

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