Hannovers neue Sehnsucht

Mut erspielt haben sich die Fußball-Männer von Hannover 96 mit einem 2:2 gegen den VfB Stuttgart. Das liegt am neuen Trainer Kenan Kocak. Er bringt Hoffnung nach einer verhunzten Zweitliga-Hinrunde

Von Christian Otto

Der Abschluss eines bitteren bis katastrophalen Jahres hatte für Hannover 96 etwas Versöhnliches. „Die Stimmung im Stadion“, befand Sportdirektor Jan Schlaudraff, „war so gut wie lange nicht mehr.“ Was sich wie Fußball-Marketing der Güteklasse A für Hannover 96 anhörte, stimmte wirklich. 35.200 Zuschauer hatten beim 2:2 (1:0) im Heimspiel gegen den VfB Stuttgart Gutes und Unterhaltsames zu sehen bekommen. Von den 96-Profis mochte trotzdem keiner laut jubeln. Nach dem Abstieg in die 2. Bundesliga wieder nur im unteren Drittel der Tabelle zu stehen, bleibt enttäuschend.

Hannover 96 spielt manchmal gut, aber nicht konstant genug. Wie sollte es auch anders sein, wenn seit Kurzem mit Kenan Kocak schon der vierte Cheftrainer in diesem Kalenderjahr das Sagen hat?

Nach André Breitenreiter, Thomas Doll und Mirko Slomka ist Kocak zum nächsten Hoffnungsträger ernannt worden. Der Deutsch-Türke darf als ehemaliger Trainer des SV Sandhausen für sich in Anspruch nehmen, die Spielregeln der 2. Liga verstanden zu haben. Er wird so manchem 96-Spieler noch erklären müssen, worum es nach dem Abschied von der 1. Liga geht: um rustikalen statt eleganten Fußball, um die Bereitschaft, sich zu schinden.

Wie sagt es 96-Torhüter Ron-Robert Zieler so schön: „Ich habe eine andere Fußballkultur kennengelernt.“ Er meint das Schnörkellose einer Spielklasse, in der Hannover 96 von einer guten Platzierung und einer realistischen Chance auf den Wiederaufstieg weit entfernt ist.

Dass allmählich Besserung in Sicht ist, liegt tatsächlich an Kocak und seiner Art. Seine Ansprachen sind klar, deutlich und ehrlich. Er scheut nicht davor zurück, dass bisherige taktische Grundgerüst komplett zu verändern. Unter seiner Regie beginnt Hannover 96, wieder leidenschaftlicher und mutiger zu spielen. Eine Halbzeit lang war der VfB Stuttgart am Samstag dominiert worden, weil der Gastgeber mutig attackiert hatte. „Wir müssen uns im Januar die Sachen des Trainers einprägen. Druck und schnelle Ballgewinne – das tut uns gut“, fand Mannschaftskapitän Marvin Bakalorz.

Zwei Wege bleiben Hannover 96 für die Rückrunde. Der Verein könnte erkennen, dass die Saison 2019/20 schon jetzt so verhunzt ist, dass man besser schon an die nächste Spielzeit denkt. Oder während der Winterpause wird noch einmal personell nachgebessert. Der VfB Stuttgart etwa hat seine Mannschaft nach dem Abstieg im Sommer erheblich verstärkt. Bei Hannover 96 sollte unter der Obhut von Schlaudraff vor allem gespart werden.

Immerhin: Beim 2:2 sah es so aus, als ob sich beide Teams auf Augenhöhe begegnen könnten. Das macht Mut für die nächsten Aufgaben. Und der Trainer setzte im Duell mit Stuttgart ein Zeichen für alle Spieler, die noch überlegen, wie stark sie sich im kommenden Jahr ins Zeug legen wollen. Kocak hatte den 21 Jahre jungen Florent Muslija in der 2. Halbzeit eingewechselt und nur 13 Minuten später wegen ungenügender Leistungen wieder ausgewechselt. Damit dürfte klar sein, wie entschlossen er ist.