: Kitsch, der funktioniert
Kurzweilige, feine Spektakel: Zum ersten Mal lädt der Circus Mignon in Bahrenfeld mit Artistik und Poesie zum „Winterspektakel“
Von Katrin Ullmann
Nun hat es also doch noch geschneit: Dicke weiße Flocken bedecken den Boden des kleinen Nadelwalds in Bahrenfeld. Hier, im Eingangsbereich des „Winterspektakels“, erzählen zwei Dutzend halbhohe Tannen von Weihnachtsatmosphäre, macht jede Menge Kunstschnee einen atmosphärischen Winter – auch wenn draußen irritierende Plusgrade herrschen. Die „Kuppel Hamburg“ an der Bahrenfelder Trabrennbahn, in der üblicherweise Tagungen, Kongresse oder Mega-Partyevents stattfinden, lädt zum Winterzauber ein. Und, so kitschig es auch klingen mag, genau dieser Zauber funktioniert.
Durch die vier Zelte vermischt sich der Duft von Waffeln und Glühwein mit dem von Punsch und Popcorn. Kurz denkt man an einen kitschigen Märchenerlebniswald und ganz kurz auch an Szenen auf dem überfüllten Winterdom, doch tatsächlich sind hier Kulisse – die Basis bilden 36 Schiffscontainer – und Atmosphäre deutlich unaufgeregter und vor allem liebevoller gestaltet.
Entsprechend ist die Stimmung, trotz hektischer Vorweihnachtszeit, entspannt. Es gibt Liebesäpfel, Craft Beer und Flammkuchen, Dosenwerfen und Entenangeln, ein altes Karussell ist in Betrieb und eine nostalgische Schiffsschaukel schwingt durch das Zelt. Wem all diese Attraktionen noch nicht genug sind, kann im außen liegenden „Winterparadies“ eine Runde eislaufen oder auf einem Riesenreifen die Kunstschnee-Rutsche hinuntersaußen.
Die Hauptattraktion aber ist die zentrale Show. Im über 1.000 Zuschauer fassenden Zirkuszelt präsentieren Artisten ihre Tricks und Kunststücke. Sie balancieren und jonglieren, machen Faxen, fahren Kunstrad, tanzen Tango und Breakdance. Gut zwei Stunden lang. In schnell wechselnden Auftritten zeigen sie ein breites Portfolio artistischen Könnens und erzählen wie nebenbei von der Tragik und Komik des Lebens.
Vor allem viel Humor
Dabei faszinieren sie durch ihre Kunstfertigkeit, ihren Charme und vor allem ihren Humor. Wenn der Einradfahrer Untertasse, Tasse und schließlich einen Zuckerwürfel treffsicher und elegant auf seinen Hut platziert, wenn der rastalockige Seiltänzer geschickt ein Seil entlangbalanciert und später eine darauf platzierte Leiter hochklettert, wenn eine elegante Jongleurin ihre zig Bälle nonchalant nicht nur mit den Händen, sondern auch mit ihren bloßen Füßen in der Luft hält, oder wenn die zwei Turner in- und übereinander eine senkrechte Stange erklettern, als wäre es nur ein heiterer Spaziergang.
Zwei Luftakrobatikerinnen lassen sich waghalsig schwingend aus der Kuppel fallen, drei Trampolinspringer lassen sich scheinbar spontan, aber natürlich exakt choreografiert fallen, um anschließend die Wände leichtfüßig wieder hochzupurzeln. Ein Tanzpaar auf Rollerskatern dreht in rasanter Geschwindigkeit und die Tänzerin streckt sich bald fliegend im Spagat aus, bald schwingt sie millimeternah über dem Boden.
Ein Reifenakrobatiker vollführt faszinierende Kreise und kunstvolle Schwünge, der Ball-Artist balanciert einen Fußball so lässig und dirigiert ihn um sich herum, als wäre dieser am Fuß angewachsen. Und der feinsinnige Pantomime bringt auf magische Weise einen Koffer zum Schweben. Wenige Lichteffekte und eine kurze Lasershow am Schluss machen daraus große Unterhaltung. Nicht nur, aber sicherlich vor allem für die kleineren Zuschauer
Es sind kurzweilige, feine Spektakel, die in auf der runden Manege zu sehen sind. Spektakel, die mit viel Training und großer Genauigkeit erarbeitet wurden, die zugleich aber von einem intrinsischen Zirkus-Impuls erzählen.
Aus dem Circus Mignon, einem weit verzweigten, wie nebenbei auch inklusiven Kulturprojekt mit Sitz in Hamburg und auf Sylt, hervorgegangen, setzen die Macher des Abends in erster Linie auf Nahbarkeit – zusätzlich zu ihrem artistischen Können. Mit Live-Musik und einen spürbaren Team-Gedanken wird so aus jedem Auftritt eine Erzählung. Da werden in den Umbaupausen schnell die Seile gespannt und Strickleitern verstaut, wird miteinander gelacht und auch mal eine Nummer wiederholt – wenn sie nicht ganz perfekt gelang.
Es ist ein Bewegungszirkus, der sich aufs Improvisationstheater bezieht, der poetisch ist und heiter. Skurril und unterhaltsam. Hier geht es weniger um ein „Schneller, Höher, Weiter“ als um die Kraft der Fantasie und die Macht der Illusion, um die Überraschung und nicht zuletzt und immer wieder um die Verblüffung – der Zuschauer. So kann Weihnachten kommen. Und gerne auch bleiben.
Winterspektakel: bis 5. 1., Kuppel Hamburg, Luruper Chaussee 30; Infos: www.winterspektakel.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen