Ackern in der Innenstadt

SELBSTVERSORGUNG II In Rotterdam wachsen Kartoffeln und Kräuter auf einem ehemaligen Rangierbahnhof

■ Sein Leben: Will Allen, vor 63 Jahren in den USA geboren, spielte Basketball in der NBA, machte Marketing für den Konzern Procter & Gamble und begann 1993 seine dritte Karriere: Er gründete eine Farm in Milwaukee, einer Stadt mit gut 500.000 Einwohnern.

■ Sein Ziel: Eine nachhaltige, faire und ökologische Nahrungsmittelproduktion. Seine Firma erntet 40 Tonnen Obst und Gemüse pro Jahr. Will Allen wurde zum Vorbild für Stadtfarmer weltweit. Das Time Magazine kürte ihn zu einem der 100 einflussreichsten Menschen.

VON GUNDA SCHWANTJE

Stadtbauer Huibert de Leede, 35, stapft über den Acker. „Hier liegt auf einer Folie ein halber Meter fruchtbare Erde, herangekarrt aus dem Umland“, sagt er und stiefelt weiter in seinen festen Schuhen entlang kleiner Felder. Kartoffelpflanzen blühen, Bohnen sind reif für die Ernte. Rote Bete, Lauchzwiebeln und zwei Dutzend andere Sorten Gemüse wachsen ordentlich aufgestellt in schnurgeraden Reihen. Im Orangegelb der Ringelblumen tummeln sich Bienen. De Leede sagt, Essen sei so fundamental für den Menschen, „deshalb ist es einfach notwendig, die bestehende Nahrungsmittelkette neu zu organisieren“.

Unzufriedenheit über die Nahrungsmittel- und Agrarindustrie hat Huibert de Leede und seine beiden Mitstreiter Bas de Groot und Johan Bosman angetrieben. Und das Gefühl, etwas ändern zu können: „Aus der ganzen Welt wird Essen herangeschleppt. Im Supermarkt weiß man nicht, woher das Essen genau kommt, man weiß nicht, wer der Bauer ist. Ich persönlich will verbunden sein mit dem Ort, an dem mein Essen wächst. Und ich will gesund, frisch, lecker essen.“ Zwei Hektar ist der erste urbane Acker groß, den „Uit Je Eigen Stad“ (Aus deiner eigenen Stadt), so heißt der Betrieb des Trios, bewirtschaftet.

Das Gelände liegt in der dicht bevölkerten Stadt Rotterdam, in Europas größtem Hafen, einem gigantischen Industriegebiet. Die Gruppe hat ein brachliegendes Rangierterrain der niederländischen Bahn fruchtbar gemacht. Als Zwischennutzung, so ist es vereinbart, für mindestens zehn Jahre.

„ ‚Uit Je Eigen Stad‘ ist ein Bewusstseinsprojekt“, sagt de Leede, während er ein paar große Bohnen pflückt. „Städter können hier erfahren, was nötig ist, um Essen auf dem Teller zu haben.“

Fischkot als Salatdünger

Die Grundidee der Pioniere ist schlicht: In der Stadt auf verwaisten Flächen und ungenutzten Dächern intensiv Landwirtschaft betreiben. Um die Nahrungs- und Produktionskette zu schließen, kommen auch Hühner und Fische dazu, so de Leede. Er zeigt auf die frisch getünchte Halle, an die der Acker grenzt: „1.500 Hühner werden da ihr Nachtquartier ab Oktober haben. Tags scharren sie draußen herum, picken Reste von abgeernteten Feldern, düngen.“

In einen anderen Raum der Halle kommen Fische: Buntbarsch und Wels, leicht zu haltende Süßwassersorten. „Die Ausscheidung der Fische ist die Basis für Salat und Kräuter“, sagt der Stadtbauer. Der Fischkot wird über Leitungen in einen zweiten Pool abgeführt. Dort wachsen auf Styroporplatten Salat und Kräuter, deren Wurzeln bis ins Wasser reichen und die so gedüngt werden.

Im Gewächshaus reifen Tomaten, Paprika und Chili. Ein Laden kommt in den hinteren Bereich, im Raum nebenan entsteht ein Restaurant. Ein Holzkohleofen thront bereits an prominenter Stelle, alle Anschlüsse für die Theke sind gelegt. Im September ist das Eröffnungsfest.

„Die Stadtverwaltung ist unsicher, weil sie mit so einem Betrieb keine Erfahrung hat“

STADTFARMER BAS DE GROOT

Es war ein langer, schwieriger Weg. „Wir haben sicher 90 Gespräche mit der Stadtverwaltung geführt“, sagt Bas de Groot. Seine Rastahaare trägt er zusammengebunden, den Mund umspielt ein amüsiertes Lächeln. Denn für ein Projekt seriöser Stadtlandwirtschaft gibt es keine Vorschriften. „Inzwischen ist die Stadtverwaltung wohlwollend, aber auch unsicher, weil sie mit so einem Betrieb keine Erfahrung hat“, erklärt de Groot.

Ihre Geschäftsidee haben die Männer aus vielen Inspirationsquellen und eigenen Erfahrungen generiert. Bas de Groot kommt aus der Landwirtschaft. Ihn beschäftigt urbaner Landbau seit Jahren. Mit dem Immobilienmakler Johan Bosman entwickelte de Groot die Pläne. Bosman registriert in Städten immer mehr brachliegende Objekte; Orte, an denen auch in den kommenden Jahren wegen der Krise nichts mehr passieren wird. Der Dritte im Bunde, Unternehmensberater Huibert de Leede, stieß vor eineinhalb Jahren dazu.

„Uit Je Eigen Stad“ ist entscheidend durch die Arbeit von Will Allen inspiriert, einem Großstadtfarmer der USA, der sich für gutes, frisches Essen aus der Nachbarschaft einsetzt. Allen kam nach Rotterdam, begutachtete das Terrain und sagte: „Just do it!“, erzählt Bas de Groot.

„Hier muss Geld verdient werden“, betont Bas de Groot. Gut eine Million Euro beträgt die Investition. Davon trägt eine Wohnungsbaugesellschaft 650.000 Euro. Sie hat das Gelände für einen Euro von der Stadt Rotterdam gemietet, das Glashaus finanziert, die Halle renovieren lassen, die Erde beschafft. Das Trio zahlt zehn Jahre lang jährlich 50.000 Euro und Zinsen an den Träger. „Die Genehmigungen und die Finanzierung sind die größten Herausforderungen“, sagt de Leede. In Zukunft will „Uit Je Eigen Stad“ auch in anderen Städten ackern, in Amsterdam, Utrecht, Den Haag, aber auch in kleineren Städten: „Amersfoort hat sich bereits gemeldet“, sagt de Leede. „Die Resonanz ist jetzt gut. Selbst Großbetriebe unterstützen uns.“