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: Erdoğan droht den USA mit Rauswurf aus Incirlik

Damit will der türkische Präsident die USA von neuen Sanktionen gegen die Türkei abhalten. Nicht das erste Mal, dass er mit der Luftwaffenbasis am Mittelmeer Außenpolitik betreibt

Das Neue

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat den USA angedroht, die US-Luftwaffe von ihrem wichtigsten Stützpunkt im östlichen Mittelmeer zu werfen. Am Sonntagabend sagte er einem Nachrichtensender, falls die USA tatsächlich neue Sanktionen gegen die Türkei beschließen, werde die Regierung den USA die weitere Nutzung des Stützpunktes Incirlik verbieten. In den letzten Jahren hat es immer wieder Streit um die Nutzung dieser Luftwaffenbasis in der Nähe der Millionenstadt Adana am Mittelmeer gegeben, so zuletzt bei Einsätzen gegen den IS in Syrien, aber nie gab es bislang eine so konkrete Drohung von höchster Stelle in der Türkei.

Der Kontext

Die Nato-Partner Türkei und USA liegen seit Längerem über Kreuz. Jahrelang hatte sich die türkische Regierung in Washington vergeblich darüber beschwert, dass die USA in Syrien mit der kurdischen YPG Miliz zusammenarbeiten, die für Ankara als Ableger der PKK eine Terrororganisation ist. Als sich dann die Obama-Administration weigerte, der Türkei das Patriot-Raketenabwehrsystem zu verkaufen, ging Erdoğan zu Putin und kaufte die russischen S-400-Flugabwehrraketen. Daraufhin verweigerten die USA der Türkei auch den Kauf moderner F-35-Kampfflugzeuge, weil die durch das moderne Radar der S-400 ausgespäht werden könnten. Erdoğan droht nun mit dem Kauf russischer Kampfbomber. Die USA wollen nun empfindliche Sanktionen gegen die Türkei verhängen, wenn sie die S-400-Systeme in Betrieb nimmt. Für weitere Verärgerung in Ankara sorgte außerdem eine Resolution des US-Senats, der vor wenigen Tagen erstmals die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord anerkannte.

Die Reaktionen

Das Pentagon bemühte sich umgehend, die Situation zu deeskalieren. Schließlich seien die Türkei und die USA seit Jahrzehnten verbündet und hätten immer zum gegenseitigen Nutzen zusammengearbeitet. Man hoffe deshalb auf eine einvernehmliche Lösung.

Die Konsequenz

Wäre beim Rauswurf der US-Luftwaffe aus Incirlik enorm. Incirlik ist seit 1954 der wichtigste US-Stützpunkt am östlichen Mittelmeer. Von Incirlik aus wurde im Kalten Krieg die Südostgrenze zur Sowjetunion überwacht, wurde Saddam Hussein bekämpft, die Flugverbotszone im Nordirak durchgesetzt, der Nachschub nach Afghanistan transportiert und der IS bombardiert. Außerdem lagern in Incirlik rund 50 amerikanische Atomsprengköpfe, als ultimative Drohung für jeden möglichen Gegner in der Region. Sollten die USA Incirlik verlieren, hätten sie wohl große Schwierigkeiten, einen gleichwertigen Ersatz zu finden, was ihren Rückzug aus dem Nahen Osten wohl weiter beschleunigen würde.

Damit hätte Erdoğan aber dann wohl auch endgültig das Tischtuch zu den USA und der Nato zerschnitten. Die Türkei würde de facto die Nato verlassen und sich ganz auf Putin zubewegen müssen. Das gesamte Kräftegleichgewicht im Nahen und Mittleren Osten würde sich verändern. Jürgen Gottschlich