berliner szenen
: Wenn um vier die Tage dunkeln

Der November gehört nicht zu meinen Lieblingsmonaten. Manchmal denke ich, dass es besser wäre, zu dieser Zeit nicht in Berlin zu sein und stelle mir romantische Spaziergänge über neblige Felder und lange Abende am Kamin und so was vor.

In Wirklichkeit ist es so: Nach Feierabend sitze ich in der überfüllten S1 nach Frohnau. Mit einer Hand halte ich mein Fahrrad fest, mit der anderen meinen Krimi, den ich in der Bahn lese, um nicht die ganzen Smartphone-Junkies sehen zu müssen. Wenn weitere Radfahrer einsteigen, schaue ich kurz hoch. Und da sehe ich ihn, auf der Sitzreihe gegenüber. Ein großer dünner Mann mit zu kurzer Jogginghose und schwarzem Kapuzenpulli. Vor dem Gesicht trägt er eine Horror-Clown-Stoffmaske. Ich sehe nur Clown und Kapuze, es gruselt mich. In der Hand hält er ein Buch. Ein Buch! Ich entziffere den Titel „Requiem für Sabrina“. Das macht es nicht besser. An der Wollankstraße steige ich erleichtert aus – nichts Schlimmes ist passiert.

Es ist schon dunkel und auf der Straße merkwürdig ruhig. Aha, das liegt an der Straßensperrung. Ein Radfahrer wird gerade von mehreren Polizisten befragt. Ich will nicht noch mehr unheimliche Dinge erleben und nehme die Abkürzung durch den dunklen Park. Das kommt der Vorstellung von nebligen Feldern nahe. Kurz vorm Ausgang liegt etwas im Gebüsch. Etwas sehr großes, sehr helles. Plötzlich hab ich richtig Angst. Schiebe mein Fahrrad trotzdem näher. Das helle Etwas rührt sich nicht.

Soll ich die Polizei rufen? Da bewegt es sich plötzlich: ein Mensch im weißen Mantel! „Kann ich was für Sie tun?“, frage ich leise. „Nee, danke“, höre ich eine weibliche Stimme. „Ich bin schwanger, mir ist gerade schlecht geworden.“ Zu Hause setze ich mich vor die Heizung statt vor den Kamin. November eben. In Berlin.

Gaby Coldewey