berliner szenen
: New York, Maybach­ufer

Ich hätte länger schlafen können. Es ist kalt und regnerisch. Es ist Samstag und ich muss nicht arbeiten. Doch eine Freundin geht aus Berlin weg und ich möchte ihr auf Wiedersehen sagen. Ich steige in die U-Bahn ein, ohne einen Kaffee getrunken zu haben und bewege mich wie ein kaffeesüchtiger Roboter.

Ich erwische sie noch auf dem Weg zu Schönleinstraße, sie ist von anderen Freundinnen umgeben. Jede trägt ein Gepäckstück, sie lachen wegen etwas, das ich nicht hören kann. Ich schließe mich der Gruppe an. Ich werde die Freundin vermissen und ich spüre auch ein Gefühl des Fernwehs in mir hochsteigen. Ich laufe den Markt am Maybachufer entlang und stelle mir vor, es wäre ein Herbsttag in New York und ich würde mich mit Freund*innen im Central Park treffen und jede würde etwas Kluges und Leichtes sagen, so wie die Figuren in alten Woody-Allen-Filmen es machen. Jemand hätte einen goldenen Hund mit, jemand würde eine rote Schirmmütze tragen.

Jetzt brauche ich dringend einen Espresso, doch mir fehlen 20 Cent dafür. Der Mann vom Kaffeestand hört Reggae und hängt mit anderen Händler*innen rum. Er gibt mir einen Kaffee, wofür ich extrem dankbar bin. Dann gehe ich zum Geldautomaten und trinke noch ein Espresso in einem kleinen Café am Kottbusser Damm, wo alle laut Italienisch sprechen. Ich kehre zum Markt zurück und esse Kleinigkeiten: brasilianische Käsebrötchen, israelisches Streetfood, argentinische Churros mit dulce de leche. Es riecht nach Holzofen und Glühwein. Am anderen Ufer wirft ein Mann Brotreste ins Wasser und Schwäne nähern sich aus alle Richtungen an, durchbrechen den schwimmenden gelben Blätterteppich, um etwas zu fressen. Der Mann vom Kaffeestand legt sich die Hand aufs Herz als ich ihm die 20 Cents zurückgebe. Es ist fast vier Uhr, es wird dunkel.

Luciana Ferrando