Die Grünen reden 48 Stunden ohne Unterlass
: Der grüne September, die verschobene Milch und ein lahmer Rhetoriker

Nein, mit Spaßwahlkampf soll das nichts zu tun haben. Auch wenn feindliche Organe wie der Focus das 48-Stunden-Dauerreden an der Oranienburger Straße in die gleiche Ecke wie das Guidomobil stellen. „Wir haben so viel zu sagen, dass wir uns auch in 48 Stunden nicht wiederholen“, beteuert der grüne Wahlkampfmanager Fritz Kuhn treuherzig.

Reinhard Bütikofer scheint diese Strategie durchkreuzen zu wollen, indem er schon zu Beginn am Freitagnachmittag alle Themen abräumt. Der Grünenchef spricht über Angela Merkel und Brutto-Netto, Jörg Schönbohm, die böse Linkspartei, über Otto Schily und den Ölpreis, über China, erneuerbare Energien, den Irakkrieg und über keine große Koalition. Kann jetzt noch jemand etwas Neues sagen?

Renate Künast versucht es, indem sie sich tief in ihr Fachgebiet zurückzieht. Um nie mehr Großstadtgöre zu sein, zitiert sie einfach Bauernregeln: „Der September grün und klar, wird’s ein gutes neues Jahr.“

Die grüne Community hört’s gern, man wärmt sich am wieder entdeckten Gemeinschaftsgefühl. Da werden „Atomkraft – Nein Danke“-Buttons neu aufgetragen, junge Wahlkämpfer laufen mit „Der Sommer wird grün“-Shirts durch die Reihen. Die sind mal mehr (bei Promis), mal weniger (bei allen Übrigen) gefüllt. Zum grünen Lebensgefühl gehört auch ein Nadelstich gegen den lieben Koalitionspartner. Fraktionschefin Krista Sager macht’s vor: „Wir lassen uns die Milch nicht in die Schuhe schieben, die die SPD mit der Neuwahl verschüttet hat.“ Das wird so bestimmt niemand wiederholen.

Ausgerechnet der Popstar Joschka Fischer scheint am Samstagabend, von Kameras und betont unauffälligen Bodyguards begleitet, in die Wiederholungsfalle zu tappen. Der große Rhetoriker leiert grüne Phrasen herunter. Erst als ihn eine etwas verwirrte Zuhörerin anbrüllt („Man müsste gegen Sie Steine werfen, wie Sie das damals getan haben“) blitzt seine berühmte Schlagfertigkeit auf: „Darüber reden wir jetzt lieber nicht, das gibt nur wieder einen Ausschuss.“

Bei Ausschüssen im Bundestag wird zwar neuerdings auch stundenlang geredet. Aber die Grünen-Show neben dem Tacheles ist unübertrefflich. Vor Sonntagmittag gibt es keine Gnade. Selbst nachts finden sich Zuhörer ein. Und zwischen vielen Worten gibt es klare Botschaften: Die Grünen werden noch gebraucht, sie haben mit dem Atomausstieg oder dem Staatsbürgerschaftsrecht das Land verändert, und es wird gekämpft bis zum Umfallen. Wer jetzt 48 Stunden durchgehalten hätte, bräuchte bis zum 18. September keine Wahlkampfveranstaltung mehr besuchen.

RAFAEL BINKOWSKI