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: Schnecken und Teufelsinstrumente

Die Schnecken schmecken. Ein bisschen wie Pilze in Knoblauch, jedenfalls nicht schleimig, und überraschend gut kombinierbar mit Brot. Unser Gastgeber hat außerdem noch flaschenweise Schneckenschnaps vor uns aufgebaut, von dem er versichert, er sei potenzsteigernd. In Lettgallen, der östlichen, eher entlegenen, sanft hügeligen Region Lettlands, ist er stolzer Besitzer einer Schneckenfarm.

„Als die Wirtschaftskrise kam, wusste ich nicht, wie es weitergehen soll“, erzählt er. Dann kam er auf die Schnecken. „Meine Frau dachte, ich hätte den Verstand verloren.“ Heute züchtet er in großen Außengehegen, exportiert seine Schnecken bis nach Frankreich und verdient sich ein Zubrot mit kleinen Führungen und selbst gestalteten Junggesellenabschieden (Schneckenschleim-Behandlung „an allen Körperstellen“).

Lettgallen ist die eher wenig bekannte Schönheit an der Ostgrenze Lettlands, eine Region lettischer, jüdischer, polnischer, russischer Einflüsse mit Seen, kleinen Höfen und den landesüblich ungeteerten Pisten. Und ein lokaler „Culinary Heritage Trail“ führt geradewegs in die Küchen, Garagen und auf die Terrassen seiner Bewohner. Er ist ein Zufallsfund und erfordert neben variablen Sprachkenntnissen durchaus Engagement: Es gibt online eine Liste mit Adressen, dann ruft man irgendwo an und fragt, ob man vorbeikommen kann. Manchmal meldet sich tagelang niemand zurück, und geöffnet ist nur, wenn jemand fragt. Oder auch dann nicht. Der größtmögliche Kontrast mithin zu üblichen Museen, altmodisch und romantisch, wie es zivilisationsmüde Westeuropäer lieben.

Eine Bäuerin, die lettgallisch für uns kocht – sehr fettig, sehr lecker, Käse und Brot selbst gemacht –, erzählt, man lebe gut vom Tourismus. Ein seltenes Gleichgewicht von ver­stecktem Angebot und gewisser Nachfrage: So was nennen sie im Reiseführer wohl Geheimtipp.

Und ein Wunderland des Nachbarn-­Entdeckens. Nie weiß man, wo man landet. Einmal rufen wir in einem Museum für ­Musikinstrumente an, das sich als Garage eines liebevollen Sammlers entpuppt. Ein Musiklehrer, der alte Instrumente restauriert, manche ­davon Unikate, manche Familien­erbstücke, und einige Experimental-Instrumente, die nicht mehr hergestellt werden. Jedes einzelne kann er spielen. Zu jedem gibt es eine Geschichte; von Teufeln, von Vagabunden, von den Russen. Davon leben kann er nicht, auch in Lettgallen schaut man offenbar nicht dauernd in jemandes Küche oder Garage vorbei. Aber es lohnt. Museen sind viel zu oft alte Bilder und tote Tiere; besuchen Sie stattdessen das Leben.

http://visitdagda.com/index.php/en/ko-­darit-en/54-marsruti-un-takas-en/486-­kilinarais-manojums-en