: Gar nichts wird gut
Schüler*innen der Gesamtschule West arbeiten an einem politischen Theaterstück über eine faschistische Partei, die nicht AfD heißt
Von Jens Fischer
An der Beiratswahl in Gröpelingen nahmen gerade mal 42 Prozent der Berichtigten teil, 11,2 Prozent gaben ihre Stimme der AfD. „Schüler der sehr multikulturellen Gesamtschule West (GSW) hat das irritiert“, sagt Carina Claus. Sie leitet dort die Theater-AG. In einer Antifaschismus-Projektwoche sei dort die Entwicklung rechten Gedankenguts zur NS-Staatsideologie thematisiert worden. Dann habe eine Schülerin angeregt, diese wieder aktuelle Gefahr mit den Mitteln des Theaters darzustellen, also aufzuklären.
„Indem wir gegenwärtige Entwicklungen weiterspinnen, wollen wir dem Vergessen entgegenwirken, wachrütteln“, so Claus. Meint sie den gegenwärtigen Aufstieg der Rechtspopulisten? „Ich bin ja an der Schule angestellt und daher gilt, Neutralität gegenüber allen nicht verbotenen Parteien zu wahren. Wir konnten also kein Stück konkret gegen die AfD machen.“ Aber konkret darauf hinweisen, dass zwar nicht rechte Gesinnung, aber zumindest rechter Jargon auf dem GSW-Schulhof wieder salonfähig ist. Beschimpfungen wie „Du Jude“, „Schwulette“ oder „Du Homo“ seien üblich, erklärt Ergün. Sie ist eine von 19 Jugendlichen der 6. bis 10. Klasse und zehn Ehemaligen der Theater-AG, die vor einem Jahr erste Ideen zu einem Stück gesammelt haben und seit März an „Wenn ihr die Lösung seid, sind wir das Problem!“ arbeiten.
Einmal pro Woche wird geprobt. Jetzt vor der Premiere auch an den Wochenenden im Bürgerhaus Oslebshausen. „FCK SUV“ und „FCK AFD“-Aufkleber hängen dort. Im großen Saal sind Lockerungsübungen im Kreis angesagt. Dann werden Butterbrotdosen leer gefuttert. Claus sitzt am Regiepult an den Hebeln der Musikanlage, transferiert ihre Unruhe in ein Stakkato des Fußwippens. Mit unerbittlicher Aufmerksamkeit und resoluten Ansagen hat sie die absolute Regiehoheit im Raum. Es ist früh. Die Szenen entwickeln sich schlurfig. Aber alles läuft wie am Schnürchen.
Es beginnt mit einer Pantomime. Aus dem Off ertönen Tagebuchnotizen wie die von Anne Frank. Stumm absolviert eine Schülerin dazu Schreibbewegungen. Zeitsprung ins dystopische Jahr 2033: „Die Lösung“, eine faschistoide Partei, ist an die Macht gewählt worden. Ihr Oberstadtführer hält eine Rede, die Aussagen von Björn Höcke und Adolf Hitler mixt. Es geht um „deutsche Werte und Traditionen“, Disziplin, Ordnung, Sicherheit, Sauberkeit, Treue, Volksgesundheit usw. In Nazi-Schreihals-Manier wird der Text mit ironischer Verve übers Rednerpult zelebriert. Uniformierte Statisten stehen stramm drumherum, die Mädchen haben ihr Haar gretchenhaft im BDM-Stil geflochten.
Auf der Bühne wird diese Brut als „Zombies“, „jung und doof“ beschimpft. In den Gesprächen brodeln weiter starke Thesen wie: Die Juden von morgen sind die Ausländer von heute. Und wenn jemand bei Die Lösung an die AfD denkt, ist das natürlich seine Interpretationsfreiheit. Als Regierungspartei pflanzt sie jedenfalls dem Schulunterricht einen „patriotischen Tumor“ ein, so Claus, lässt Andersdenkende verhaften und foltern. Und sonnt sich in Allmachtsfantasien: raus aus der NATO, raus aus der EU, um endlich nicht mehr „diese armen, faulen Verbrecherstaaten mitzuziehen“. Einige gründen in Anlehnung an die Weiße Rose eine Widerstandsbewegung: Das Problem. Richtig TKKG-Abenteuer-mäßig geht es um Überfälle, Befreiung, geheime Kommunikation und ein bisschen Liebe. Ständig macht man sich über die Nazis lustig. Was an denen so faszinierend ist, wird nicht ernsthaft verhandelt.
Partizipativ war die Stückentwicklung. Die Jugendlichen hatten eine Wunschliste zu den Stereotypen des Stücks geliefert und gemeinsam den roten Faden geflochten. Claus und die beiden deutlich über 30-jährigen Schauspieler Nils Trillhase und Henrik Schäfer haben daraus höchst professionell den Dramentext entwickelt, den die Jugendlichen ihrem Jargon angepasst haben. „Wir setzen dabei auf gewohnte Formate, die wir und die Schüler kennen, das gibt Sicherheit“, so Claus. Klassisches Erzähltheater ist also angesagt. Keine Experimente. „Die vierte Wand wird nirgendwo geöffnet“, so Schäfer. Auch sind die Beteiligten nicht in Theater als Orte der ästhetischen und freidenkerischen Erziehung des Menschengeschlechts gegangen. Einerseits gebe der Stundenplan das nicht her, sagt Claus, „und es ist viel einfacher, Schüler zum Theaterspielen denn zum Theatergucken zu bringen“. An der GSW geht es weniger um Kunstproduktion. Theater heißt dort vor allem Sozialpädagogik. Etwa die Entwicklung des Selbstbewusstseins auf Bühne.
Aufführungen: 16. 12., 11 Uhr, sowie 17. 12., 11 und 20 Uhr, Schlachthof
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